Lebensmittel- und Werbewirtschaft widersprechen Minister Özdemir: breite Ablehnung gegen Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz

34 Verbände der Lebensmittel- und Werbewirtschaft haben unter der Federführung des Lebensmittelverbands Deutschlands und des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) erneut gegenüber dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ihre geschlossene, ablehnende Haltung zum aktuellen Referentenentwurf des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes (KLWG) verdeutlicht. Dem vorausgegangen war die unwahre Behauptung von Bundesminister Cem Özdemir, dass sich „lediglich eine wirklich sehr kleine Gruppe von Leuten mit diesem Regelungsvorschlag schwertut“ (O-Ton Bundesminister Cem Özdemir im Rahmen der Vorstellung des Ernährungsreports 2023 am 13.10.2023).

Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands, kontert: „Es geht in der Werbeverbots-Debatte nicht um persönliche Befindlichkeiten, sondern um eine eindeutige Faktenlage. Diese Fakten haben wir uns nicht ausgedacht, sondern sie sind nachzulesen in mehreren Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags sowie in den wissenschaftlichen Bewertungen von Prof. Dr. Martin Burgi und Katharina Schüller. Ebenso haben die Bundesländer sich kritisch geäußert. Wir argumentieren nicht gegen den Schutz von Kindern, wir argumentieren gegen einen Gesetzesentwurf, der so tut, als würde er Kinder schützen wollen. Zielführende Schritte können nur wirklich zielgerichtete Maßnahmen sein, die beim Individuum ansetzen, also Ernährungs- und Medienbildung, Bewegungsförderung und ein vielfältiges Lebensmittelangebot für jeden Bedarf.“

Dr. Bernd Nauen, Hauptgeschäftsführer des ZAW, ergänzt: „Der KLWG-Entwurf ist unter allen maßgeblichen Gesichtspunkten nicht tragfähig: die im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausrichtung wird deutlich verfehlt, er stuft rund 70 Prozent der Lebensmittel als ungesund ein und verbietet pauschal, auch gegenüber Erwachsenen, ihre Bewerbung. Dies zieht einen irreparablen Schaden in der Medien- und Werbewirtschaft nach sich, da rund 3 Mrd. Euro Werbeeinnahmen fehlen werden, die nicht kompensiert werden können und u.a. die Refinanzierung von Qualitätsjournalismus, Unterhaltung, Kultur und Sport beschädigen. Wirksamkeitsbelege für die Reduktion von kindlichem Übergewicht durch Werbeverbote liefert das BMEL nicht, es gibt sie auch nicht. Hinzu kommt, dass für weite Teile der Vorschläge bereits keine Kompetenzgrundlage besteht und die Regelungen deutlich unverhältnismäßig wären. Eine solche Politik ist für Unternehmen, Medien, Verbraucher und den Gesundheitsschutz nicht anzuraten – erst Recht in der gegenwärtigen Verfassung des Landes.“

Die Kritikpunkte der Verbände im Überblick:

•            Durch die Anlehnung an das WHO-Nährwertprofil-Modell für Europa 2023 (Stand Referentenentwurf vom 28.6.2023) erfasst das KLWG weiterhin schätzungsweise 70 Prozent aller Lebensmittel. 

•            Der Entwurf erfasst dabei nicht nur solche Werbung, die sich an Kinder „richtet“, sondern nahezu jegliche Kommunikationsmaßnahmen in den adressierten Medienformaten.

•            Das KLWG ist wirtschafts- und innovationsfeindlich. Wenn schätzungsweise 70 Prozent der unter Einhaltung aller gesetzlichen Vorgaben hergestellten und vertriebenen Lebensmittel regierungsseitig auf mehr als fragwürdiger Grundlage und in völlig unverhältnismäßiger Weise pauschal als „ungesund“ abqualifiziert und mit prohibitiven Werbeverboten belegt werden sollen, wird der Kernbestand marktwirtschaftlicher Prinzipien ausgehöhlt.

•            Das BMEL besitzt selbst erklärtermaßen keinerlei Wirksamkeitsbelege für das angestrebte Ziel, mit Werbeverboten eine direkte Wirkung auf gesundheitliche Endpunkte zu erzielen. Dies wurde vom Max Rubner-Institut bestätigt.

•            Dafür werden aber wissenschaftliche Studien, die keine Kausalität zwischen Werbung und kindlichem Übergewicht belegen, als vermeintliche Begründung für eine Wirksamkeit des Gesetzes aufgeführt. Ein genauerer Blick in bestehende Studien bestätigt hingegen, dass die Behauptungen zu den angeblichen negativen Wirkungen von Werbung auf das Ernährungsverhalten und die Übergewichtsprävalenz von Kindern nicht tragfähig sind (siehe Gutachten von Katharina Schüller[1]).

•            Das KLWG ist rechtlich weiterhin nicht tragfähig. Die Rundfunkkommission der Bundesländer sieht keine kompetenzielle Grundlage für den KLWG-Entwurf. Der neu aufgelegte Entwurf ändert zudem an der (zum ersten Entwurf) in einem umfassenden Gutachten von Prof. Dr. Martin Burgi[2] vorgetragenen Kritik substanziell nichts.

Die Verbände der Lebensmittel- und Werbewirtschaft haben ihre Kritik in einem Schreiben an Bundesminister Cem Özdemir noch einmal umfassend dargelegt.

Unterzeichner sind:

Lebensmittelverband Deutschland e. V.

Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie e. V.

Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft e. V.

Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e. V.

Bundesverband der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie e. V. (bogk)

Bundesverband der Systemgastronomie e. V.

Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e. V. (BVLH)

Bundesverband Deutscher Wurst- & Schinkenproduzenten e. V.

Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e. V.

Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV)

Bundesverband Druck und Medien e. V. (bvdm)

Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen e. V.

Bundesverband kostenloser Wochenzeitungen e. V.

Bundesverband spezielle Lebensmittel (DIÄTVERBAND) e. V.

DEHOGA Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e. V.

Deutscher Bauernverband e. V. (DBV)

Deutscher Fleischer-Verband e. V.

Deutsches Tiefkühlinstitut e. V. (dti)

FAW Fachverband Außenwerbung e. V.

Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e. V.

Kulinaria Deutschland e. V.

Markenverband e. V.

Milchindustrie-Verband e. V.

MVFP Medienverband der freien Presse e. V.

Süßstoff-Verband e. V.

VAUNET – Verband Privater Medien e. V.

Verband der deutschen Fruchtsaft-Industrie e. V. (VdF)

Verband der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft VGMS e. V.

Verein der Zuckerindustrie e. V. (VdZ)

Verband Deutscher Großbäckereien e. V.

Verband Deutscher Mineralbrunnen e. V.

Wirtschaftliche Vereinigung Zucker e. V. (WVZ)

Wirtschaftsvereinigung Alkoholfreie Getränke e. V. (wafg)

Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks e. V.


[1] https://www.stat-up.com/post/wissenschaftliches-gutachten-zur-wirkung-von-werbung-auf-die-ern%C3%A4hrung-von-kindern

[2] https://www.lebensmittelverband.de/de/aktuell/20230426-gesetzesentwurf-zu-werbeverboten-ist-verfassungs-und-europarechtswidrig

„BITTE ZU ENDE DENKEN!“: Gemeinsame Initiative von Branchenverbänden und Vermarktern zu den Auswirkungen des geplanten Kinder-Lebensmittel- Werbegesetzes

Start der Aktion am 19. Oktober 2023

Die Planungen zu einem Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz stehen vor einer politischen Weichenstellung. Nach dem Gesetzesentwurf des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft unter Bundesminister Cem Özdemir dürften mehr als 70 Prozent aller Lebensmittel* in vielen Fällen nicht mehr beworben werden. Dies bedeutete einen Bruttowerbeverlust von deutschlandweit rund 3 Milliarden Euro**. Besonders private Medienunternehmen sind von dieser Regelung betroffen. Sie benötigen Werbeumsätze, um unabhängigen Journalismus zu finanzieren, erhebliche Teile ihres Gesamtbudgets stammen aus der Lebensmittelwerbung. Ebenso stehen Unternehmen in der Lebensmittelbranche vor massiven Einschränkungen bei der Bewerbung ihrer Produkte. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat zudem in einem Gutachten bestätigt, dass keinerlei wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die einen direkten Zusammenhang zwischen Werbeverboten und dem Übergewicht von Kindern zeigen.

Mit der Initiative „BITTE ZU ENDE DENKEN!“ wollen führende Verbände und Vermarkter der deutschen Werbewirtschaft auf die weitreichenden Konsequenzen eines umfassenden Werbeverbotes für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und journalistische Freiheit aufmerksam machen, wie sie aus dem Kinder-Lebensmittel- Werbegesetz in der derzeit vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft vorgesehenen Fassung folgen würden.

Unterstützer der Aktion sind ZAW (Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft), BVE (Bundesvereinigung der Ernährungswirtschaft), BDZV (Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger), MVFP (Medienverband der freien Presse), VAUNET (Verband Privater Medien), BVDA (Bundesverband kostenloser Wochenzeitungen), BVDW (Bundesverband Digitale Wirtschaft), VDL (Verband Deutscher Lokalzeitungen und Lokalmedien), FAW (Fachverband Außenwerbung) und der Markenverband sowie die Vermarkter Media Impact, Ad Alliance, BCN, VISOON, Bonial, RMS und Framen.

Die Motive erscheinen ab dem 19. Oktober 2023 in verschiedenen Zeitungen, Zeitschriften sowie Digital und auf Social-Media-Kanälen der Unterstützer und fordert die Verantwortlichen in der Politik auf, die Folgen eines derartigen Gesetzes zu Ende zu denken:

„Die Gesundheit unserer Kinder liegt uns am Herzen. Deshalb wünschen wir uns wirksame Maßnahmen, die Kinder vor Fehlernährung schützen. Werbeverbote sind unwirksam im Kampf gegen kindliches Übergewicht. Wir wollen, dass unsere Kinder in einer Welt mit Informations-, Meinungs- und Medienvielfalt aufwachsen können. Denn durch pauschale Werbeverbote wie das Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz verlieren Medien nicht nur eine der wichtigsten Einnahmequellen, sondern unsere Gesellschaft auch die zuverlässige Versorgung mit Informationen als Gegengewicht zu Desinformation und Fake News.“

Die Initiative unterstützt die Argumente des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW) und der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Weitere Informationen zum Gesetzesentwurf finden Sie unter lieber-mündig.de.

*Quelle: Werbeverbote für Lebensmittel aufgrund ihres Zucker-, Fett- oder Salzgehalts als Eingriffe in die Kommunikations- und Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Rechtswissenschaftliche Untersuchung von Professor Dr. iur. Martin Burgi, Ordinarius für Öffentliches Recht und Europarecht an der Juristischen Fakultät der Ludwig- Maximilians-Universität München im Auftrag des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) e.V. und des Lebensmittelverbands Deutschland e.V., April 2023

**Quelle: Ökonomische Wirkung des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes – „KLWG“ für die Medien- und Werbewirtschaft von Prof. Dr. Justus Haucap. Ein Gutachten im Auftrag des Markenverband e.V., Juni 2023

ZAW und Deutscher Werberat trauern um ihren langjährigen Sprecher Volker Nickel

Im Alter von 80 Jahren ist Volker Nickel, der langjährige Sprecher von ZAW und dem Deutschen Werberat, am 26. September in Berlin verstorben. 41 Jahre lang war Nickel Vordenker, Sprecher und Lenker für die Werbebranche, bis er sich vor zehn Jahren, im Sommer 2013, in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedete. Wer Volker Nickel kannte, wusste, dass dies eine Verabschiedung vom Beruf, nicht aber von seiner Berufung war. Das präzise Nachdenken über die Irrungen und Wirrungen der Politik, Kultur, Wirtschaft, Gesellschaft – auch der eigenen Branche und Profession – einzustellen, entsprach nicht seiner Natur, seinem Intellekt und seinem Temperament. Er blieb der Gegenwart, vor allem aber der Zukunft der Werbung verbunden. Denn ihre Relevanz war für ihn eine Herzensangelegenheit und ihre Freiheit und Verantwortung bedeuteten ihm weiter viel.

Geboren 1943 in Breslau, kam er in den Nachkriegswirren mit seiner Familie nach Berlin, wo er aufwuchs und das journalistische Handwerk erlernte. Beruflich zog es ihn 1968 weiter nach Bonn, einer Stadt, die er zeitlebens für sich als Übergang betrachtete. Von 1970 bis 1972 arbeitete er in stellvertretender Funktion als Leiter der Informationsabteilung der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft. 1972 wurde er Sprecher des ZAW und danach der neu gegründeten Selbstkontrolleinrichtung Deutscher Werberat, einer Institution, an deren Entstehung er maßgeblich beteiligt war. Als der ZAW 2003 nach Berlin umzog, war es für Volker Nickel die Rückkehr in „seine Stadt“.

ZAW-Präsident Andreas F. Schubert: „Volker Nickel war ein Vordenker unserer Branche, wie es kaum einen anderen gab. Er war ihre Stimme und wurde in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gehört. Die Werbewirtschaft und ganz besonders wir als ZAW verdanken ihm unendlich viel. Als Sprecher und Geschäftsführer ‚Freiheit für die Werbung‘ hat er bei Journalisten und Kollegen der Werbebranche Denkmalstatus, auch zehn Jahre nach seiner Verabschiedung sind seine präzisen Analysen und treffenden Formulierungen, auch wenn sie für manche provokant klangen, immer wieder Thema. Er bleibt unvergessen, ebenso seine Verdienste.“

In seiner Abschiedsrede vom 6. September 2013 – natürlich über die Zukunft der Werbung – sagte Nickel bescheiden: „Mich selbst haben wir hier rasch mit zwei Bildern abgehandelt. Erstes Bild: Die eigene Bedeutung schwindet, wenn man versucht, sich aus größerem Abstand zu sehen. Das macht eine ganz andere Dimension deutlich: Hier sehen wir die Erde mit ihrem Durchmesser von 12.700 Kilometern vom Saturn aus fotografiert. Da relativiert sich Einiges. Das zweite Bild zeigt, dass der Einzelne seine Leuchtkraft vor allem in Gemeinschaft mit anderen erhält.“

Deine Leuchtkraft bleibt, lieber Volker, wir werden sie bewahren!

Andreas F. Schubert
Präsident ZAW

Thomas Hinderer
Vorsitzender
Deutscher Werberat

Dr. Bernd Nauen
Hauptgeschäftsführer ZAW

Katja Heintschel von Heinegg
Geschäftsführerin ZAW
und Deutscher Werberat


sowie die Mitarbeiter der Geschäftsstelle von ZAW und Deutschem Werberat.

Werbemarkt 2022 im Plus, aber viele offene Baustellen. 2023 startet schwach und zusätzlich mit politischen Abwärtsrisiken.

Die Werbewirtschaft in Deutschland erzielte 2022 insgesamt ein Marktvolumen von rund 48,1 Mrd. Euro. Dies bedeutet ein Wachstum von 1,6 Prozent zum Vorjahr. Die erhoffte und in vielen Branchensegmenten benötigte Erholung nach den Corona-Jahren hat sich aufgrund des Ukraine-Konflikts und dessen wirtschaftlicher Folgen in 2022 jedoch nicht eingestellt. Fast alle Kennzahlen der Werbebranche erreichen noch nicht das Vor-Corona-Niveau. Die Nettoerlöse der Medien sanken zudem um 0,6 Prozent. Untypisch schlecht für die Branche war das letzte Quartal 2022: Der Weihnachtseffekt blieb aus, so dass viele Werbeträger – auch Online – in diesem Quartal ins Minus rutschten. Die Investitionen in Werbung wiederum stiegen zwar leicht um 0,3 Prozent, dies aber vor allem inflationsbedingt aufgrund höherer Produktionskosten. Die weiteren Formen kommerzieller Kommunikation nahmen aufgrund von Corona-Nachholeffekten um 6 Prozent zu. Der Ausblick auf 2023 stimmt besorgt: Die weiter hohe Inflation mit entsprechend zurückhaltendem Konsumklima auf der einen und drohende negative politische Rahmenbedingungen auf der anderen Seite belasten die Branche. 2023 wird ein Risikojahr.

ZAW-Präsident Andreas F. Schubert bilanziert: „Bedingt durch Einflüsse, die unsere Branche selbst nicht steuern kann wie die Folgen von Corona und den Ukraine-Krieg, erlebt sie seit drei Jahren ein ungewöhnliches Auf und Ab. Hohe Inflation und die dadurch bedingte geringe Konsumneigung und steigende Kosten innerhalb des Sektors wirkten im vergangenen Jahr – und bis heute – deutlich dämpfend. Wir können die Politik in dieser wirtschaftlich angespannten Zeit vor Überregulierung nur warnen. Viel steht auf dem Spiel: Werbeverbote und überkomplexe Anforderungen für die Marktkommunikation schränken Investitionen ein, bedeuten weniger Wertschöpfung für Marken und Unternehmen, gefährden den Markterfolg von Innovationen und sind Gift für die Refinanzierungskraft der Medien. Nichts von dem hat Deutschland derzeit im Überfluss – und die Aussichten sind ungewiss.

Das Werbejahr 2023 im Detail

Das Gesamtvolumen der kommerziellen Kommunikation stieg um 1,6 Prozent auf 48,1 Mrd. Euro (2021: 47,3 Mrd. Euro). Es lag trotz des Anstiegs unter dem Vorkrisenniveau mit 48,3 Mrd. Euro (2019). Damit ist der Gesamtmarkt auch im dritten Jahr nach dem Corona-Beginn im Frühjahr 2020 noch nicht auf dem Niveau von 2019 angelangt.

Die medienbasierten Investitionen in Werbung stiegen mit 36,2 Mrd. Euro um 0,3 Prozent (2021: 36,1 Mrd. Euro), die Netto-Werbeerlöse machen etwa 70 Prozent der Investitionen in Werbung aus. Grund für die leicht gestiegenen Werbeinvestitionen waren 2022 vor allem die höheren Produktionskosten. Dieser Wert ist der Einzige, der sich über dem Vorkrisenniveau befindet (2019: 34,9 Mrd. Euro). Betrug die Inflation 2019 noch 1,4 Prozent, lag sie 2022 jedoch bei 7,9 Prozent. Die höheren Energie-, Rohstoffpreise und Gehälter verteuerten die Werbeproduktion. Inflationsbereinigt kann von wachsenden Investitionen also keine Rede sein.

Die Netto-Werbeeinnahmen sanken 2022 leicht um 0,6 Prozent auf 25,7 Mrd. Euro. Ganz ungewohnt performte die Online-Werbung nicht mehr zweistellig und konnte die Bilanz wie in den Vorjahren auch nicht abfedern: Die digitale Werbung stieg deutlich weniger dynamisch um rund 2 Prozent – wobei wenige Plattformen einmal mehr besser als der Gesamtmarkt abschnitten. Außenwerbung, Anzeigenblätter, Direktwerbung, Fachzeitschriften, Radio und Kino vermeldeten ebenfalls positive Ergebnisse, aber: Bei aller Freude über die guten Zahlen dieser Medien/Werbeträger, ein Wachstum auf das Vorkrisenniveau 2019 wurde von fast allen – mit Ausnahme der Online-Werbung, die seit 2019 deutlich zulegen konnte – nicht erreicht.

Die weiteren Formen kommerzieller Kommunikation – Sponsoring, Kataloge und Weitere Werbedrucke sowie Werbeartikel – nahmen 2022 deutlich um 5,5 Prozent auf 11,91 Mrd. Euro (2021: 11,29 Mrd. Euro), preisgetrieben wie in der Druckindustrie, aber auch erholungsbedingt nach Corona, zu. Der Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft (GWW) konnte infolge der wiedergewonnenen Möglichkeiten für haptische Werbung und verstärkte Investitionen in Wirkungsforschung ein Umsatzplus von rund 6 Prozent auf 2,80 Mrd. Euro vermelden, aber auch hier bleibt der Wert deutlich unter dem Vorkrisenniveau mit 3,65 Mrd. Euro in 2019.  Der Aufwärtstrend der weiteren Formen kommerzieller Kommunikation ist klar erkennbar, auch sie blieben jedoch noch unter dem Vorkrisenniveau von 13,44 Mrd. Euro in 2019.

Arbeitsmarkt: Jobangebote in der Werbebranche entwickeln sich moderat positiv

Nach der überhitzten Arbeitnehmersuche in 2021 mit Corona-Nachholeffekten von plus 90 Prozent, normalisierten sich die Jobangebote 2022 mit einem Plus von 10 Prozent zum Vorjahr. Die größte Nachfrage besteht traditionell bei den Agenturen, die im Berichtsjahr rund 60 Prozent der Angebote stellten, vor den Werbungtreibenden mit 30 Prozent und den Medien mit 11 Prozent.

Während bei den Agenturen vor allem Account Manager (857 Angebote) gefragt waren, suchten die werbenden Unternehmen Personal im Bereich Marketing und Werbung (1.562) – gefragt waren vor allem Marketing-Leiter. Bei den Medien wurden in erster Linie Media-experten gesucht (395), auch hier war die Leitungsebene – vor allem Medialeiter – stark nachgefragt.

Die Arbeitslosenzahl im Bereich Marketing und Werbung stieg um 6 Prozent von 23.753 in 2021 auf 25.160 in 2022 (jeweils Monat Dezember), so die Bundesagentur für Arbeit. Die Daten gehen mit den ZAW-Zahlen insofern konform, als in der zweiten Jahreshälfte 2022 die Jobangebote um rund 20 Prozent im Vergleich zu den ersten 6 Monaten sanken.

Der Fachkräftemangel ist noch vor der konjunkturellen Lage das größte Wachstumshemmnis der Branche. Bei 80 Prozent der Agenturen bremste der Fachkräftemangel laut GWA Frühjahrsmonitor 2023 die Geschäfte aus. Daher investierten die Agenturen mehr denn je in ihre Mitarbeitenden: Bei fast 80 Prozent der Befragten haben sich die Kosten für Personal 2022 erhöht, was sich 2023 fortsetzen wird.

ZAW-Trendanalyse 2023

Die ZAW-Trendanalyse zeigt ein gedämpftes Bild bei den konjunkturellen und werbewirtschaftlichen Erwartungen im 1. Halbjahr 2023: 31 Prozent der ZAW-Mitglieder erwarten bestenfalls eine schwarze Null, 62 Prozent sehen ein Ergebnis ähnlich zu 2022 mit positiven wie negativen Erwartungen. Nur rund 7 Prozent hoffen auf eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau 2019.

Sorgen bereitet den ZAW-Mitgliedern das aktuelle Konsumklima: 44 Prozent der ZAW-Mitglieder stufen das für die Branche so wichtige Konsumklima als schlecht ein, 50 Prozent lediglich als mittelmäßig.

Die Frage zur Stimmung in der Werbebranche auf einer Skala von 8 = ausgezeichnet bis 1 = bedrohlich zeigt im Frühjahr 2023 einen schlechteren Durchschnittswert mit 3,2 im Vergleich zum Frühjahr 2022 (3,5). Aufgeschlüsselt nach Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ergeben sich für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation verhaltene 3,8 Punkte und zur politischen Lage besorgte 2,1 Punkte. Ausschlaggebend hierfür sind die Verbotspläne des BMEL:

Rund 74 Prozent geben an, dass die Politik des BMEL bei ihren Mitgliedern Arbeitsplätze gefährden (ja: 27Prozent, wahrscheinlich: 47 Prozent).

Die Umfrageergebnisse bei den ZAW-Mitgliedern geben die Aussichten für 2023 vor: Stagnation, nicht mehr, liegt im Rahmen der konjunkturellen Möglichkeiten. Auch das Bruttoinlandsprodukt stagnierte im ersten Quartal 2023 und spiegelt damit eine ähnliche Situation für die Gesamtwirtschaft wider.

Blick auf die politischen Rahmenbedingungen in 2023

Andreas F. Schubert kommentiert die politischen Herausforderungen: „Mit dem geplanten Werbeverbot des BMEL würde massiv eingegriffen: Lebensmittelwerbung würde nicht gegenüber Kindern, sondern weitgehend unspezifisch auch gegenüber Erwachsenen zu weiten Teilen verboten. Rund 70 Prozent aller Lebensmittelprodukte würden mit nahezu vollständigen Kommunikationsverboten belegt. Die damit drohende Demonetarisierung der Medien durch den Gesetzgeber sie läge nach validen Berechnungen oberhalb der pandemiebedingten Einbußen – wäre von bislang unbekanntem Ausmaß und hätte entsprechende Folgen. Dies ist nicht das Programm einer Fortschrittskoalition. Der Ansatz ist auch perspektivisch gefährlich: für die Marktwirtschaft, für den Standort, seine Innovationskraft und auch gesellschaftspolitisch. Die unzutreffende Redeweise von „ungesunden Lebensmitteln“, wo es doch darum geht, eine gesunde Ernährung und Bewegung positiv zu fördern, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen: Das Ministerium verfügt, wie es selbst eingestehen musste, über keine Wirksamkeitsstudien, die eine nachhaltige substantielle Verringerung von kindlichem Übergewicht durch Werbeverbote belegen. Die Werbewirtschaft unterstützt das Ziel, die Übergewichtsprävalenz bei Kindern in Deutschland zu senken. Sie steht für verantwortungsadäquate Regulierung auf dem Boden des Koalitionsvertrags zur Verfügung. Lebenswirkliche, praktische Maßnahmen werden sich auszahlen, nicht aber Symbolpolitik mit der ernährungspolitisch am falschen Ende gearbeitet wird, deren Folgen aber auf breiter Front aus dem Ruder laufen werden.“

Bernd Nauen, ZAW-Hauptgeschäftsführer zur Agenda in anderen Bereichen: „Der Markt der Online-Werbung zeigt weiterhin ein deutliches Ungleichgewicht mit ausgeprägten wettbewerblichen Defiziten und überragender Regelsetzungsmacht weniger Player. Dies geht insbesondere zulasten von abertausenden Publishern, der Vielfalt und am längeren Ende auch der Verbraucher. Der EU-Gesetzgeber und auch Deutschland haben Gesetze erlassen, um dem entgegenzutreten. Das ist gut so. Die EU-Kommission und immer mehr nationale Wettbewerbsbehörden haben sich auf den Weg gemacht, den bestehenden Dysfunktionalitäten entgegenzutreten. Sie sollten sich hierfür nicht zu viel Zeit lassen und klare Entscheidungen treffen. Die Luft zum Atmen wird für viele immer dünner. Deshalb gilt mehr denn je auch bei neuen Regulierungsvorhaben, insbesondere für solche, die den Datenschutz und digitale Verbraucherrechte mehren wollen: zweimal hinschauen, reality checks und die Verhältnismäßigkeit wahren. Das Letzte, was das dringend benötigte Wachstum im Digitalen auf breiter Front benötigt, sind noch mehr Komplexität und Regulierungsvorteile für diejenigen, die in Zeiten der Regulierungsaskese alle strategischen Hügel besetzt haben und sie nun mit einseitiger Regelsetzungsmacht unter dem Deckmantel des Datenschutzes uneinnehmbar machen wollen“.

Das ZAW-Jahrbuch 2023 ist soeben erschienen: auf 56 Seiten viel Wissenswertes zur Werbewirtschaft, Werbepolitik und Selbstregulierung.

Rechtsgutachten von Prof. Dr. Martin Burgi stuft geplantes Werbeverbot für Lebensmittel als deutlich verfassungs- und europarechtswidrig ein

Professor Dr. Martin Burgi, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht der Ludwig-Maximilians-Universität München, stellte am Mittwoch,
26. April 2023, sein Gutachten zum Referentenentwurf zum Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bei der der Jahrestagung des Lebensmittelverbands Deutschland vor. Das Gutachten wurde im Auftrag des Lebensmittelverbands und des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft erstellt.

Der Referentenentwurf enthält, anders als vom BMEL unzutreffenderweise behauptet, eine nahezu lückenlose Aneinanderreihung von Kommunikationsverboten, die die Werbung für mindestens 70 Prozent aller Lebensmittel erfassen würde.  

„Das Gutachten beweist, dass das BMEL Schrotschusspolitik betreibt. Mit der Programmatik des Koalitionsvertrags hat dies schlichtweg nichts mehr zu tun. Der Entwurf übernimmt unbesehen die Kampagnenforderungen von Vorfeldorganisationen. Hier geht es nicht um sachorientierte Lösungen, sondern um paternalistische Bevormundungspolitik“, fasst Bernd Nauen, ZAW-Hauptgeschäftsführer, zusammen.

Nach dem Entwurf soll zwischen 6 und 23 Uhr jedwede Rundfunkwerbung für mindestens 70 Prozent aller Lebensmittel verboten sein. Über generelle Verbreitungsverbote, auch für die Außenwerbung, hinaus sind absolute Verbote für alle Medien/Werbeträger vorgesehen, mit denen die Kommunikation „im weitesten Sinne“ zum Erliegen gebracht werden soll.  Die Refinanzierung von Medien würde hierdurch in einem noch nie dagewesenen Ausmaß ausgeschaltet.

Das Gutachten legt dar, dass das Vorbringen des BMEL evident unzureichend ist, um die vielfachen Eingriffe zu rechtfertigen. „Das BMEL selbst hat zugeben müssen, keinerlei Wirksamkeitsbelege für seine Verbotspolitik im Hinblick auf die Verringerung von Übergewicht bei Kindern zu besitzen“, erinnert Nauen.

Nach Anwendungsbereich und Eingriffsintensität unterscheidet sich der Referentenentwurf laut Burgis Gutachten signifikant von vorherigen politischen Verlautbarungen im Koalitionsvertrag.

Prof. Dr. Martin Burgi kommentiert: „Statt einer evidenzbasierten Gefahrenprognose handelt es sich hier um eine reine Gefahrenvermutung ‚ins Blaue hinein‘. Auf Basis einer bloß gefühlten und bislang nicht belegten Gefahr derart weitreichende Freiheitsbeschränkungen vorzunehmen, ist – soweit ersichtlich – beispielslos.“

Weitere Zitate/Kernaussagen von Prof. Dr. Martin Burgi zu seinem Gutachten hier.