Medien- und Werbewirtschaft begrüßt Vorgehen der Europäischen Kommission gegen Google wegen Wettbewerbsbeschränkungen im Bereich der Online-Werbetechnologie („AdTech“)

Die Europäische Kommission hat Google gestern Beschwerdepunkte wegen eines möglichen Missbrauchs von Marktmacht im Bereich der Online-Werbetechnologie übermittelt.

Hintergrund der seit Juni 2021 laufenden Untersuchung sind verschiedene Begünstigungspraktiken auf unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungskette für den programmatischen (Ver‑)Kauf von Online-Anzeigenwerbung. Mit den nun als missbräuchlich eingestuften Verhaltensweisen verschafft Google nach Ansicht der Kommission seiner eigenen Werbebörse AdX (heute Teil von Google Ad Manager) seit mindestens 2014 vorsätzlich und unrechtmäßig Wettbewerbsvorteile und verdrängt so Konkurrenten auf den betroffenen Märkten – zum Nachteil der gesamten werbungtreibenden Industrie. Nach der zutreffenden Analyse der Kommission betreibt Google auf allen Ebenen dieser Wertschöpfungskette zentrale Dienste für den Kauf, die Vermittlung, das Ausspielen, die Erfolgsmessung und das Verwalten von Werbeanzeigen, die auf den jeweiligen Märkten marktbeherrschend sind.

Die EU-Kommission hat zahlreiche Interessenskonflikte identifiziert, denen Google bei der Vermittlung von Online-Anzeigenwerbung wegen seiner Tätigkeit auf allen Wertschöpfungsstufen und insbesondere wegen des Auftretens zugleich auf Seiten der Käufer sowie der Verkäufer von Werbeplätzen unterliegt und die zu Lasten anderer Marktteilnehmer zum Vorteil des Konzerns ausgenutzt wurden. Nach der Auffassung der Kommission lassen sich derart gravierende, inhärente Interessenskonflikte nur mit strukturellen Maßnahmen ausräumen. Daher hat die Kommission eine Entflechtung verschiedener Google-Dienste als Abhilfemaßnahmen vorgeschlagen.

Ein breites Bündnis aus Spitzenverbänden der deutschen Medien-, Internet- und Werbewirtschaft hatte sich zuvor im Rahmen dieses Kartellverfahrens ebenfalls an die Europäische Kommission in Brüssel gewandt. Die Verbände begrüßen die getroffene Entscheidung; insbesondere die für notwendig erachteten strukturellen Abhilfemaßnahmen.

Prof. Dr. Thomas Höppner, Partner der auf Medien- und Kartellrecht spezialisierten Kanzlei Hausfeld, die die Verbände in diesem Verfahren vertritt, sagt zu der gestrigen Abmahnung:

„Online-Werbung ist das Lebenselixier des Internets. Durch die abgemahnten Verhaltensweisen hat Google seine zentrale Rolle auf allen Ebenen der Vermittlung von Online-Werbung missbraucht. Der Digitalgigant hat Herausgeber von Webseiten (Publisher) sowie Werbungtreibende (Advertiser) massiv geschädigt, insbesondere durch überhöhte Gebühren und Erschwerung von Innovation auf dem Markt. Googles Marktmissbrauch geht letztlich zu Lasten der Medienvielfalt und der Verbraucher. Der Vorschlag, die verschiedenen Bereiche des Unternehmens aufzuspalten, ist weitreichend und in dieser Form erstmalig. Die vergangenen Verfahren gegen Google haben aber gezeigt, dass Verhaltensauflagen nicht ausreichen, um die Wettbewerbsverzerrungen zu beenden.“

Dass die EU-Kommission andere problematische Verhaltensweisen von Google, die ebenfalls Gegenstand des förmlichen Kartellverfahrens sind (z.B. Googles Pläne, im marktbeherrschenden Chrome Browser sog. Drittanbieter-Cookies nicht mehr zu unterstützen sowie Beschränkungen im Zusammenhang mit Werbung auf YouTube), nicht zum Gegenstand der gestrigen Abmahnung gemacht hat, nehmen die Verbände zum Anlass eine klare Botschaft zu formulieren:

„Wenn wegen der Zustände im Online-Werbesektor nach Meinung der Kommission strukturelle Maßnahmen geboten sind, gebieten es wettbewerbsrechtliche Grundsätze umso mehr, die Anliegen im Bereich anderer eng verzahnter Google-Dienste weiterzuführen. Die Pläne des Konzerns für Chrome und Android sind erst recht inakzeptabel. Alle maßgeblichen Prozesse, Werkzeuge und Datenstrukturen werden in die Hände eines einzigen Unternehmens gelegt.  So richtig der Schritt der Kommission ist: Der Umsetzung der weitreichenderen Pläne von Google darf nicht zugeschaut werden, um dann, erst Jahre später, einzuschreiten. Die Kommission hat, wie gestern demonstriert, das erforderliche Rüstzeug zur Hand.“

Das Bündnis besteht aus Verbänden der deutschen Medien- und Kommunikationswirtschaft. Unter dem Dach des ZAW umfasst es unter anderem die folgenden Organisationen (in alphabetischer Reihenfolge):

  • BDZV – Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger e.V.,
  • Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.,
  • Markenverband e.V.,
  • MVFP Medienverband der freien Presse e. V.,
  • OMG e.V. Organisation der Mediaagenturen,
  • VAUNET – Verband Privater Medien e. V. sowie
  • Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW e.V.

Vorgenannte Verbände treten ebenfalls als Beschwerdeführer in einem Verfahren vor dem Bundeskartellamt gegen Apples Wettbewerbsbeschränkungen im Zusammenhang mit dem sog. „App Tracking Transparency (ATT) Framework“ auf, in dem es ebenfalls um die Regelsetzungsmacht eines Digitalgiganten im Bereich der Online-Werbung und um den Vorwurf der Selbstbegünstigung geht.

Werbemarkt 2022 im Plus, aber viele offene Baustellen. 2023 startet schwach und zusätzlich mit politischen Abwärtsrisiken.

Die Werbewirtschaft in Deutschland erzielte 2022 insgesamt ein Marktvolumen von rund 48,1 Mrd. Euro. Dies bedeutet ein Wachstum von 1,6 Prozent zum Vorjahr. Die erhoffte und in vielen Branchensegmenten benötigte Erholung nach den Corona-Jahren hat sich aufgrund des Ukraine-Konflikts und dessen wirtschaftlicher Folgen in 2022 jedoch nicht eingestellt. Fast alle Kennzahlen der Werbebranche erreichen noch nicht das Vor-Corona-Niveau. Die Nettoerlöse der Medien sanken zudem um 0,6 Prozent. Untypisch schlecht für die Branche war das letzte Quartal 2022: Der Weihnachtseffekt blieb aus, so dass viele Werbeträger – auch Online – in diesem Quartal ins Minus rutschten. Die Investitionen in Werbung wiederum stiegen zwar leicht um 0,3 Prozent, dies aber vor allem inflationsbedingt aufgrund höherer Produktionskosten. Die weiteren Formen kommerzieller Kommunikation nahmen aufgrund von Corona-Nachholeffekten um 6 Prozent zu. Der Ausblick auf 2023 stimmt besorgt: Die weiter hohe Inflation mit entsprechend zurückhaltendem Konsumklima auf der einen und drohende negative politische Rahmenbedingungen auf der anderen Seite belasten die Branche. 2023 wird ein Risikojahr.

ZAW-Präsident Andreas F. Schubert bilanziert: „Bedingt durch Einflüsse, die unsere Branche selbst nicht steuern kann wie die Folgen von Corona und den Ukraine-Krieg, erlebt sie seit drei Jahren ein ungewöhnliches Auf und Ab. Hohe Inflation und die dadurch bedingte geringe Konsumneigung und steigende Kosten innerhalb des Sektors wirkten im vergangenen Jahr – und bis heute – deutlich dämpfend. Wir können die Politik in dieser wirtschaftlich angespannten Zeit vor Überregulierung nur warnen. Viel steht auf dem Spiel: Werbeverbote und überkomplexe Anforderungen für die Marktkommunikation schränken Investitionen ein, bedeuten weniger Wertschöpfung für Marken und Unternehmen, gefährden den Markterfolg von Innovationen und sind Gift für die Refinanzierungskraft der Medien. Nichts von dem hat Deutschland derzeit im Überfluss – und die Aussichten sind ungewiss.

Das Werbejahr 2023 im Detail

Das Gesamtvolumen der kommerziellen Kommunikation stieg um 1,6 Prozent auf 48,1 Mrd. Euro (2021: 47,3 Mrd. Euro). Es lag trotz des Anstiegs unter dem Vorkrisenniveau mit 48,3 Mrd. Euro (2019). Damit ist der Gesamtmarkt auch im dritten Jahr nach dem Corona-Beginn im Frühjahr 2020 noch nicht auf dem Niveau von 2019 angelangt.

Die medienbasierten Investitionen in Werbung stiegen mit 36,2 Mrd. Euro um 0,3 Prozent (2021: 36,1 Mrd. Euro), die Netto-Werbeerlöse machen etwa 70 Prozent der Investitionen in Werbung aus. Grund für die leicht gestiegenen Werbeinvestitionen waren 2022 vor allem die höheren Produktionskosten. Dieser Wert ist der Einzige, der sich über dem Vorkrisenniveau befindet (2019: 34,9 Mrd. Euro). Betrug die Inflation 2019 noch 1,4 Prozent, lag sie 2022 jedoch bei 7,9 Prozent. Die höheren Energie-, Rohstoffpreise und Gehälter verteuerten die Werbeproduktion. Inflationsbereinigt kann von wachsenden Investitionen also keine Rede sein.

Die Netto-Werbeeinnahmen sanken 2022 leicht um 0,6 Prozent auf 25,7 Mrd. Euro. Ganz ungewohnt performte die Online-Werbung nicht mehr zweistellig und konnte die Bilanz wie in den Vorjahren auch nicht abfedern: Die digitale Werbung stieg deutlich weniger dynamisch um rund 2 Prozent – wobei wenige Plattformen einmal mehr besser als der Gesamtmarkt abschnitten. Außenwerbung, Anzeigenblätter, Direktwerbung, Fachzeitschriften, Radio und Kino vermeldeten ebenfalls positive Ergebnisse, aber: Bei aller Freude über die guten Zahlen dieser Medien/Werbeträger, ein Wachstum auf das Vorkrisenniveau 2019 wurde von fast allen – mit Ausnahme der Online-Werbung, die seit 2019 deutlich zulegen konnte – nicht erreicht.

Die weiteren Formen kommerzieller Kommunikation – Sponsoring, Kataloge und Weitere Werbedrucke sowie Werbeartikel – nahmen 2022 deutlich um 5,5 Prozent auf 11,91 Mrd. Euro (2021: 11,29 Mrd. Euro), preisgetrieben wie in der Druckindustrie, aber auch erholungsbedingt nach Corona, zu. Der Gesamtverband der Werbeartikel-Wirtschaft (GWW) konnte infolge der wiedergewonnenen Möglichkeiten für haptische Werbung und verstärkte Investitionen in Wirkungsforschung ein Umsatzplus von rund 6 Prozent auf 2,80 Mrd. Euro vermelden, aber auch hier bleibt der Wert deutlich unter dem Vorkrisenniveau mit 3,65 Mrd. Euro in 2019.  Der Aufwärtstrend der weiteren Formen kommerzieller Kommunikation ist klar erkennbar, auch sie blieben jedoch noch unter dem Vorkrisenniveau von 13,44 Mrd. Euro in 2019.

Arbeitsmarkt: Jobangebote in der Werbebranche entwickeln sich moderat positiv

Nach der überhitzten Arbeitnehmersuche in 2021 mit Corona-Nachholeffekten von plus 90 Prozent, normalisierten sich die Jobangebote 2022 mit einem Plus von 10 Prozent zum Vorjahr. Die größte Nachfrage besteht traditionell bei den Agenturen, die im Berichtsjahr rund 60 Prozent der Angebote stellten, vor den Werbungtreibenden mit 30 Prozent und den Medien mit 11 Prozent.

Während bei den Agenturen vor allem Account Manager (857 Angebote) gefragt waren, suchten die werbenden Unternehmen Personal im Bereich Marketing und Werbung (1.562) – gefragt waren vor allem Marketing-Leiter. Bei den Medien wurden in erster Linie Media-experten gesucht (395), auch hier war die Leitungsebene – vor allem Medialeiter – stark nachgefragt.

Die Arbeitslosenzahl im Bereich Marketing und Werbung stieg um 6 Prozent von 23.753 in 2021 auf 25.160 in 2022 (jeweils Monat Dezember), so die Bundesagentur für Arbeit. Die Daten gehen mit den ZAW-Zahlen insofern konform, als in der zweiten Jahreshälfte 2022 die Jobangebote um rund 20 Prozent im Vergleich zu den ersten 6 Monaten sanken.

Der Fachkräftemangel ist noch vor der konjunkturellen Lage das größte Wachstumshemmnis der Branche. Bei 80 Prozent der Agenturen bremste der Fachkräftemangel laut GWA Frühjahrsmonitor 2023 die Geschäfte aus. Daher investierten die Agenturen mehr denn je in ihre Mitarbeitenden: Bei fast 80 Prozent der Befragten haben sich die Kosten für Personal 2022 erhöht, was sich 2023 fortsetzen wird.

ZAW-Trendanalyse 2023

Die ZAW-Trendanalyse zeigt ein gedämpftes Bild bei den konjunkturellen und werbewirtschaftlichen Erwartungen im 1. Halbjahr 2023: 31 Prozent der ZAW-Mitglieder erwarten bestenfalls eine schwarze Null, 62 Prozent sehen ein Ergebnis ähnlich zu 2022 mit positiven wie negativen Erwartungen. Nur rund 7 Prozent hoffen auf eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau 2019.

Sorgen bereitet den ZAW-Mitgliedern das aktuelle Konsumklima: 44 Prozent der ZAW-Mitglieder stufen das für die Branche so wichtige Konsumklima als schlecht ein, 50 Prozent lediglich als mittelmäßig.

Die Frage zur Stimmung in der Werbebranche auf einer Skala von 8 = ausgezeichnet bis 1 = bedrohlich zeigt im Frühjahr 2023 einen schlechteren Durchschnittswert mit 3,2 im Vergleich zum Frühjahr 2022 (3,5). Aufgeschlüsselt nach Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ergeben sich für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation verhaltene 3,8 Punkte und zur politischen Lage besorgte 2,1 Punkte. Ausschlaggebend hierfür sind die Verbotspläne des BMEL:

Rund 74 Prozent geben an, dass die Politik des BMEL bei ihren Mitgliedern Arbeitsplätze gefährden (ja: 27Prozent, wahrscheinlich: 47 Prozent).

Die Umfrageergebnisse bei den ZAW-Mitgliedern geben die Aussichten für 2023 vor: Stagnation, nicht mehr, liegt im Rahmen der konjunkturellen Möglichkeiten. Auch das Bruttoinlandsprodukt stagnierte im ersten Quartal 2023 und spiegelt damit eine ähnliche Situation für die Gesamtwirtschaft wider.

Blick auf die politischen Rahmenbedingungen in 2023

Andreas F. Schubert kommentiert die politischen Herausforderungen: „Mit dem geplanten Werbeverbot des BMEL würde massiv eingegriffen: Lebensmittelwerbung würde nicht gegenüber Kindern, sondern weitgehend unspezifisch auch gegenüber Erwachsenen zu weiten Teilen verboten. Rund 70 Prozent aller Lebensmittelprodukte würden mit nahezu vollständigen Kommunikationsverboten belegt. Die damit drohende Demonetarisierung der Medien durch den Gesetzgeber sie läge nach validen Berechnungen oberhalb der pandemiebedingten Einbußen – wäre von bislang unbekanntem Ausmaß und hätte entsprechende Folgen. Dies ist nicht das Programm einer Fortschrittskoalition. Der Ansatz ist auch perspektivisch gefährlich: für die Marktwirtschaft, für den Standort, seine Innovationskraft und auch gesellschaftspolitisch. Die unzutreffende Redeweise von „ungesunden Lebensmitteln“, wo es doch darum geht, eine gesunde Ernährung und Bewegung positiv zu fördern, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen: Das Ministerium verfügt, wie es selbst eingestehen musste, über keine Wirksamkeitsstudien, die eine nachhaltige substantielle Verringerung von kindlichem Übergewicht durch Werbeverbote belegen. Die Werbewirtschaft unterstützt das Ziel, die Übergewichtsprävalenz bei Kindern in Deutschland zu senken. Sie steht für verantwortungsadäquate Regulierung auf dem Boden des Koalitionsvertrags zur Verfügung. Lebenswirkliche, praktische Maßnahmen werden sich auszahlen, nicht aber Symbolpolitik mit der ernährungspolitisch am falschen Ende gearbeitet wird, deren Folgen aber auf breiter Front aus dem Ruder laufen werden.“

Bernd Nauen, ZAW-Hauptgeschäftsführer zur Agenda in anderen Bereichen: „Der Markt der Online-Werbung zeigt weiterhin ein deutliches Ungleichgewicht mit ausgeprägten wettbewerblichen Defiziten und überragender Regelsetzungsmacht weniger Player. Dies geht insbesondere zulasten von abertausenden Publishern, der Vielfalt und am längeren Ende auch der Verbraucher. Der EU-Gesetzgeber und auch Deutschland haben Gesetze erlassen, um dem entgegenzutreten. Das ist gut so. Die EU-Kommission und immer mehr nationale Wettbewerbsbehörden haben sich auf den Weg gemacht, den bestehenden Dysfunktionalitäten entgegenzutreten. Sie sollten sich hierfür nicht zu viel Zeit lassen und klare Entscheidungen treffen. Die Luft zum Atmen wird für viele immer dünner. Deshalb gilt mehr denn je auch bei neuen Regulierungsvorhaben, insbesondere für solche, die den Datenschutz und digitale Verbraucherrechte mehren wollen: zweimal hinschauen, reality checks und die Verhältnismäßigkeit wahren. Das Letzte, was das dringend benötigte Wachstum im Digitalen auf breiter Front benötigt, sind noch mehr Komplexität und Regulierungsvorteile für diejenigen, die in Zeiten der Regulierungsaskese alle strategischen Hügel besetzt haben und sie nun mit einseitiger Regelsetzungsmacht unter dem Deckmantel des Datenschutzes uneinnehmbar machen wollen“.

Das ZAW-Jahrbuch 2023 ist soeben erschienen: auf 56 Seiten viel Wissenswertes zur Werbewirtschaft, Werbepolitik und Selbstregulierung.

Rechtsgutachten von Prof. Dr. Martin Burgi stuft geplantes Werbeverbot für Lebensmittel als deutlich verfassungs- und europarechtswidrig ein

Professor Dr. Martin Burgi, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Umwelt- und Sozialrecht der Ludwig-Maximilians-Universität München, stellte am Mittwoch,
26. April 2023, sein Gutachten zum Referentenentwurf zum Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bei der der Jahrestagung des Lebensmittelverbands Deutschland vor. Das Gutachten wurde im Auftrag des Lebensmittelverbands und des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft erstellt.

Der Referentenentwurf enthält, anders als vom BMEL unzutreffenderweise behauptet, eine nahezu lückenlose Aneinanderreihung von Kommunikationsverboten, die die Werbung für mindestens 70 Prozent aller Lebensmittel erfassen würde.  

„Das Gutachten beweist, dass das BMEL Schrotschusspolitik betreibt. Mit der Programmatik des Koalitionsvertrags hat dies schlichtweg nichts mehr zu tun. Der Entwurf übernimmt unbesehen die Kampagnenforderungen von Vorfeldorganisationen. Hier geht es nicht um sachorientierte Lösungen, sondern um paternalistische Bevormundungspolitik“, fasst Bernd Nauen, ZAW-Hauptgeschäftsführer, zusammen.

Nach dem Entwurf soll zwischen 6 und 23 Uhr jedwede Rundfunkwerbung für mindestens 70 Prozent aller Lebensmittel verboten sein. Über generelle Verbreitungsverbote, auch für die Außenwerbung, hinaus sind absolute Verbote für alle Medien/Werbeträger vorgesehen, mit denen die Kommunikation „im weitesten Sinne“ zum Erliegen gebracht werden soll.  Die Refinanzierung von Medien würde hierdurch in einem noch nie dagewesenen Ausmaß ausgeschaltet.

Das Gutachten legt dar, dass das Vorbringen des BMEL evident unzureichend ist, um die vielfachen Eingriffe zu rechtfertigen. „Das BMEL selbst hat zugeben müssen, keinerlei Wirksamkeitsbelege für seine Verbotspolitik im Hinblick auf die Verringerung von Übergewicht bei Kindern zu besitzen“, erinnert Nauen.

Nach Anwendungsbereich und Eingriffsintensität unterscheidet sich der Referentenentwurf laut Burgis Gutachten signifikant von vorherigen politischen Verlautbarungen im Koalitionsvertrag.

Prof. Dr. Martin Burgi kommentiert: „Statt einer evidenzbasierten Gefahrenprognose handelt es sich hier um eine reine Gefahrenvermutung ‚ins Blaue hinein‘. Auf Basis einer bloß gefühlten und bislang nicht belegten Gefahr derart weitreichende Freiheitsbeschränkungen vorzunehmen, ist – soweit ersichtlich – beispielslos.“

Weitere Zitate/Kernaussagen von Prof. Dr. Martin Burgi zu seinem Gutachten hier.

 

18. April 2023: EU-Verbandsklagenrichtlinie — Umsetzung in deutsches Recht „Was ist für ein faires Verfahren wichtig?“

Der ZAW lädt am 18. April 2023 gemeinsam mit seinen Mitgliedern und weiteren Verbänden und Organisationen ein: Verfolgen Sie im Livestream ab 12 Uhr die Diskussion des offiziellen Referentenentwurfs eines Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (VRUG) mit den Berichterstatterinnen und Berichterstattern der Bundestagsfraktionen von SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und CDU/CSU.

Mit dem Entwurf soll die EU-Verbandsklagenrichtlinie (EU 2020/1828) umgesetzt werden. Die Richtlinie lässt den EU-Mitgliedsstaaten einen weiten Spielraum bei der Umsetzung. Die letzten Monate haben gezeigt, dass die Form der Umsetzung der EU-Vorgaben politisch außerordentlich umstritten ist. Für die deutsche Wirtschaft ist eine ausgewogene Ausgestaltung der neuen Klagemöglichkeit unter angemessener Berücksichtigung der Interessen von Verbrauchern und Unternehmen von hoher Bedeutung.

Hier finden Sie das komplette Programm und hier geht es zum Livestream.

Keine evidenzbasierte Politik: BMEL kündigt weitgehendes Totalwerbeverbot für Lebensmittel an.

Die heute vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vorgestellten Eckpunkte für Werbeverbote im Lebensmittelsektor sind nach Auffassung des ZAW nicht geeignet, zu einer nachhaltigen Reduktion von Übergewicht bei Kindern beizutragen. Die Agenda des Hauses ist einer Vielzahl gut belegter Einwände ausgesetzt.

ZAW-Präsident Andreas F. Schubert bewertet die Eckpunkte: „Das Ministerium arbeitet am falschen Ende. Noch in der letzten Woche wurde gegenüber dem ZAW, Verbänden der Lebensmittelwirtschaft und der Werbeträger/Medien vom BMEL bestätigt, dass dem Ministerium keine Wirksamkeitsstudien vorliegen, die einen positiven Einfluss von Werbeverboten auf das Ernährungsverhalten und eine Verringerung der Übergewichtsrate von Kindern belegen. Ungeachtet dessen, geht man heute weit über den Koalitionsvertrag hinaus. Die untaugliche Verbotspolitik nimmt in Kauf, die Refinanzierung von Medien und Sport weitgehend zu beschädigen und den Wettbewerb, darin eingeschlossen den Markterfolg von Innovationen, auszuschalten.“

Besonders kritikwürdig aus der Sicht des ZAW ist, dass das Ministerium nicht nur Reality-Checks und Folgeabschätzungen ausgeklammert, sondern seine Pläne schlichtweg irreführend beschrieben hat.

Dies gilt im Hinblick auf die betroffenen Produkte wie auch unter dem Gesichtspunkt der erfassten Werbeformen und Kanäle.

  • Mit der WHO-Bezugnahme würden rund 80 Prozent der verarbeiteten Lebensmittel produktseitig erfasst. Die von der WHO 2015 in einem intransparenten Prozess erarbeiteten Nährwertprofile teilen das Lebensmittelangebot anhand einiger weniger Nährstoffe in vermeintlich „gute“ (im wesentlichen unverarbeitetes Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, Fleisch und Fisch) und „schlechte“ (alle anderen) Lebensmittel ein und schließen von vorn herein – ohne Nährwertgrenze – ganze Produktgruppen per se von der Bewerbung aus.

Anders als verlautbart, ist das WHO-Verbotsmodell jedoch weder ein verbreiteter noch erfolgreicher Politikansatz:

  • Das WHO-Verbotsmodell ist nicht Bestandteil verbindlicher europäischer Regulierung und Gesetzgebung.
  • Es ist nicht Grundlage der Regulierung wie auch der Selbstregulierung zur Werbung in Österreich und Spanien.
  • In Portugal, dem einzigen Land, im dem es (modifiziert) herangezogen wird, liegt die Übergewichts- und Adipositasrate von Kindern doppelt so hoch wie in Deutschland. Ebenso ist die Lage in UK, wo knapp jedes dritte Kind betroffen ist – obwohl hier seit Jahren eine Verbotsregulierung gilt, die dem vorgestellten Ansatz des BMEL weitgehend entspricht.

Die Aussagen zu den erfassten Werbemaßnahmen bedeuten, anders als vom BMEL heute mitgeteilt, dabei ein nahezu geschlossenes generelles Werbe- und Sponsoringverbot.

Trotz Berufung auf den Koalitionsvertrag will das BMEL in erster Linie nicht an Inhalte und Aussagen in der Werbung, die sich spezifisch an Kinder richten, anknüpfen.

  • Immer dann, wenn Produkte beworben werden, die eine bunte Aufmachung haben, soll das Verbot greifen.
  • Zudem ist geplant die Außenwerbung zu verbieten, wenn sie innerhalb einer Bannmeile von 100 Metern um Orte, an denen sich Kinder typischerweise aufhalten, installiert ist. Dies bezieht sich, wie mitgeteilt, auf alle Lebensmittel, die unter das WHO-Verbotsmodell fallen, also mindestens 80 Prozent aller Lebensmittel.
  • Nicht nur Medien, die sich an Kinder spezifisch richten, sollen als Werbeträger für die klare Mehrheit der Lebensmittel ausgeschlossen sein. Lebensmittel sollen im Fernsehen und Internet generell zwischen 6.00 und 23.00 Uhr nicht mehr beworben werden dürfen, wenn sie unter die WHO-Kriterien fallen. Davon betroffen sind ebenfalls mindestens 80 Prozent aller verarbeiteten Lebensmittel.

„Die Behauptung des BMEL, es gehe um zielgerichtete Vorschläge, ist irreführend. Tatsächlich ist eine massive Überregulierung geplant. Hierfür gibt es jedoch keine tragfähige Grundlage. Weder politisch, noch rechtlich und auch ernährungs- bzw. medienwissenschaftlich. Lebensmittel sind nicht per se gesund oder ungesund. Vielmehr finden alle Lebensmittel in einer ausgewogenen Ernährung ihren Platz. Werbeverbote gehen zudem an den lebenswirklichen Herausforderungen vorbei. Die Wirkung von Werbung im Hinblick auf den kategorialen Verzehr von Salz, Zucker und Fett wird vom BMEL verkannt. Werbung für Lebensmittel hat Einfluss auf die Marktanteile beworbener Produkte. Sie ist erwiesenermaßen aber nicht in der Lage, das Ernährungsverhalten von Kindern ungünstig in Richtung Übergewicht zu beherrschen. Heute wurde emotional angekündigt, evidenzbasierte Fakten sind dabei aber auf der Strecke geblieben“, ergänzt Bernd Nauen, Hauptgeschäftsführer ZAW.

Die Gründe für kindliches Übergewicht sind tatsächlich multikausal und deshalb nicht monokausal mit Werbeverboten zu lösen. Zielführend sind ganzheitliche Ansätze, die den gesamten Lebensstil in den Blick nehmen, die Ernährungs- und Medienkompetenz stärken und dabei der deutlich gestiegenen Bewegungsarmut von Kindern Rechnung tragen – so auch aufgezeigt in der aktuellen WHO/OECD-Studie zur angewachsenen Bewegungsarmut in EU-Ländern. Die Vorschläge des BMEL schweigen hierzu.

Auch mit Blick auf die besonderen Möglichkeiten des Staates bei der Gemeinschaftsverpflegung in Kitas und Schulen für eine bessere Ernährungsumgebung Sorge zu tragen und eine proaktive Ernährungsbildung aufzusetzen, bleibt es bei bloßen Ankündigungen. Dabei ist Übergewicht und Adipositas in sozio-ökonomisch benachteiligten Bevölkerungskreisen überproportional ausgeprägt. Mit Werbeverboten wird die Lebens- und Ernährungsrealität in benachteiligten Familien jedoch nicht nachhaltig verbessert, wie eine Vielzahl von public-health Analysen und die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen.

Der ZAW teilt die Zielsetzung, Übergewicht bei Kindern zu bekämpfen. Der besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern gilt es bei der Lebensmittelwerbung Rechnung zu tragen. Die Werbewirtschaft hat sich hierauf verpflichtet. Sie hat die Regeln in 2021 verschärft und setzt sie durch. Aussagen und Inhalte, die einer ausgewogenen Ernährung entgegenstehen, sind in der Lebensmittelwerbung gegenüber Kindern nicht zulässig.

Fakten und Evidenz zu Übergewicht und Werbeverboten:

1.Die Übergewichts- und Adipositasprävalanz in Deutschland liegt seit Jahren bei rund 15 Prozent. In anderen europäischen Ländern, die heute als wegweisend bei der Verbotsdebatte bezeichnet wurden, liegen sie weitaus höher, z.B. in UK, wo 1 von 3 Kindern übergewichtig oder adipös ist. Dies gilt auch für Portugal und Spanien.

2. Seit der zweiten maßgeblichen RKI-KIGGS-Studie in 2015 bis 2017 wurde ein Rückgang des gesamten Lebensmittelverzehrs und der mittleren Energiezufuhr bei Kindern in Deutschland beobachtet, wobei die geringere Energiezufuhr mit einem deutlich reduzierten Konsum von süßen Getränken begründet wird. Zudem seien im Vergleich zur KiGGS-Basiserhebung im Zeitraum 2003 bis 2006 die angegebenen konsumierten Mengen von Süßwaren erheblich gesunken, je nach Geschlecht und Altersgruppe zwischen 20  und 30 Prozent und jeweils statistisch signifikant. Zwischen den Studien nahm die ermittelte Energiezufuhr bei 6- bis 11-jährigen Mädchen etwa 9 Prozent, bei 6- bis 11-jährigen Jungen etwa 11 Prozent und bei Jugendlichen etwa 21 Prozent ab. Vorstehende Entwicklung erfolgte bei durchweg steigenden Werbeinvestitionen und Schaltungen in den 2000-er Jahren. Es besteht somit kein Zusammenhang zwischen kindlichem Übergewicht und Werbung.

3. Das generelle Bewegungsniveau der Kinder, wie Studien des RKI belegen, ist seit Jahren deutlich geringer geworden. Es wird erheblich mehr Zeit im Sitzen verbracht, was zu einem niedrigeren Energiebedarf führe. Die Hauptursachen für den Bewegungsmangel als wesentlicher Grund für einen Übergewicht hervorrufenden Energieüberschuss bei Kindern liegen nach public-health-Studien in folgenden Faktoren:

  • Wesentlich ist die Umstellung des Schulsystems auf mehr Ganztagsschulen und die Einführung des Abiturs nach 12 Jahren in fast allen Bundesländern zwischen 2012 und 2015 wodurch viele Kinder und Jugendliche weniger Freizeit haben. Hinzu kommt die Nutzung digitaler Medien, der Rückgang beim Ehrenamt und Defizite beim Sportunterricht in den Schulen. Als bedeutsam werden auch Unzulänglichkeiten bei der Kita- und Schulverpflegung erkannt.

4. In der Corona-Pandemie ist die Werbemenge über alle Kanäle hinweg deutlich gesunken. Das kindliche Übergewicht hat hier aber nach allen Schätzungen zugenommen. Auch dies belegt eindrücklich, dass kein Zusammenhang zwischen der Ausbildung von Übergewicht und Werbung existiert.

5. In Ländern, in denen Werbeverbote bereits existieren, haben sich die Übergewichtszahlen nicht verändert. Sie liegen, wie etwa in UK, sogar deutlich über den Daten in Deutschland. Werbeverbote sind nachweislich nicht erfolgreich.

6. Die vom BMEL mitgeteilten Daten zur Werbemenge sind unzutreffend. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, wonach „jedes Kind in Deutschland zwischen 3 und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel schaue und 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten vermarkte“. Sie basieren auf methodisch nicht haltbaren Untersuchungen im Auftrag von Kampagnenorganisationen.

Tatsächlich sieht die Lage nach den Daten der AGF im Bereich TV wie folgt aus:

  • 98 Prozent der Primetime-Zuschauer sind über 14 Jahre alt, unter 2 Prozent sind zwischen 3 und 13 Jahre alt – über 365 Tage im Jahr und alle Fernsehsender hinweg.
  • In den Jahren 2019 bis 2022 waren von den 100 Sendungen mit der höchsten Sehbeteiligung bei den 3- bis 13-Jährigen nur 27 Sendungen mit Werbung.
  • Bei Fußball-Länderspielen ist der Strukturanteil der 3- bis 13-Jährigen zuweilen höher, dann sitzen aber auch die Erwachsenen mit vor dem Bildschirm und Fußball ist auf ARD und ZDF ab 20 Uhr werbefrei.
  • Der Löwenanteil der Sendungen mit einer hohen Sehbeteiligung der 3- bis 13-Jährigen ist werbefrei – entweder laufen diese Sendungen auf dem grundsätzlich werbefreien Kika oder – wie Fußball – bei ARD und ZDF nach 20 Uhr.

Das gleiche gilt für die Online-Daten bzw. digitale Werbemenge, die Kinder wahrnehmen: Hier wird mit ergebnisorientierten Hochrechnungen und Datenquellen, die man nicht verrechnen kann gearbeitet. Konkrete Avatar-Messungen haben ergeben, dass lediglich 1.45 Prozent der Online-Werbung, die an Kinder ausgeliefert wird, für sogenannte HFFS-Produkte wirbt.

7. Die Tragfähigkeit von Werbeverboten setzt – nicht nur rechtlich betrachtet – eine Kausalbeziehung zwischen der Bewerbung von Lebensmitteln (mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt) gegenüber dem Konsum und der Ernährungsweise von Kindern in der Weise voraus, dass Kinder unter 14 Jahren gerade durch Werbeinhalte so beeinflusst werden, dass sie dadurch bedingt eine größere Menge der genannten Lebensmittelprodukte derart mittel bis langfristig verzehren, dass ihr Risiko für Übergewicht und Folgeerkrankungen signifikant steigt. Hierzu gibt es keine überzeugenden Befunde.

  • In den fachwissenschaftlichen Studien zu den Auswirkungen von Werbung und Werbeverboten auf das Konsumentenverhalten wird eine Einflussnahmemöglichkeit von Werbung im Hinblick auf Markenwiedererkennung und -image grundsätzlich anerkannt. Allerdings bewirkt dies nach den Befunden grundsätzlich keinen Mehrkonsum. Bei reifen und gesättigten Produktkategorien, wie beispielsweise Süßigkeiten, konnte kein Kategorie-Mehrkonsum festgestellt werden, der durch Werbung ausgelöst wurde. In gesättigten Märkten ist vielmehr der primäre Effekt, bestehende Marktanteile zu verteidigen und Konsumenten von Konkurrenzmarken abzuwerben. Entsprechend lassen sich auch keine Rückschlüsse eines etwaigen Mehrkonsums bei Steigerung der Werbeausgaben aus Vergleichsuntersuchungen z.B. zu Süßwarenwerbeausgaben und Süßwarenkonsum schließen. Das entspricht den Daten zu Werbeinvestionen in Deutschland seit den 2000-er Jahren und den Veränderungen in Corona.
  • Deshalb konnte auch das Max Rubner Institut keine Wirksamkeitsnachweise für Werbeverbote in EU-Ländern, wo sie bestehen, entdecken. Der Auftraggeber ist das BMEL, eine Veröffentlichung der Untersuchung ist jedoch nicht vorgesehen. Das ist natürlich kritisch, weil so evidenzbasierte Politik ausgebremst wird. Auf Anfrage musste das BMEL diesen Befund aber zugeben, s. https://dserver.bundestag.de/btd/20/049/2004970.pdf , s. S. 60.
  • Die Ursachen von Übergewicht, Adipositas und ungünstiger Ernährungsweise, die gut belegt sind, lauten hingegen: (1.) Bewegungsmangel, z.B. aufgrund veränderter Lebensumstände von Kindern und Jugendlichen (Ganztagsschulen, Auflösung tradierter Familienverbünde und Arbeitsbedingungen) (2.) Rahmenbedingungen der Mahlzeiteneinnahme (gemeinsame Familienmahlzeiten, Schulspeisung), (3.) sozialökonomischer Status und Bildungsgrad sowie (4.) Adaption von Verhaltensweisen im engen sozialen Umfeld und enge physiognomische Korrelationen im Familienkreis.
  • Alle Studien weisen auf eine erhebliche Bedeutung des Faktors des sozialökonomischen Status (SES) der untersuchten Personengruppen hin. Kinder und Jugendliche mit niedrigem SES weisen im Vergleich zu Mädchen und Jungen mit mittlerem und hohem SES eine deutlich höhere Prävalenz für Übergewicht auf. Beispielweise konsumieren 6- bis 11-jährigen Mädchen und Jungen mit hohem SES im Mittel signifikant ausgewogener als die Vergleichsgruppe in sozial benachteiligten und bildungsferneren Milieus. Hier weist das gesamte Ernährungsverhalten ungünstigere Muster auf. Und die Bewegungsarmut ist besonders ausgeprägt. Werbeverbote ändern aber an den sozialen Umständen nichts, denn die Faktoren, die ein ungünstiges Ernährungsverhalten und Bewegungsarmut hervorrufen sind nicht kommunikativ vermittelt, sondern sind eng verknüpft mit Sozialstatus, Bildung, Wohnort, Aufenthaltsstatus der Familien und Freunde. Das ist gesicherter Stand der Wissenschaft.