Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz löst keine Probleme, es schafft neue
Der Referentenentwurf des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) ist nach Auffassung von Expertinnen und Experten nicht nur verfassungs- und europarechtswidrig, sondern er basiert auf methodisch schwachen Studien, die keine wissenschaftliche Evidenz für eine Kausalität zwischen Werbung und der Übergewichtsentwicklung bei Kindern liefern. Das KLWG würde in der aktuellen Fassung zudem für erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen auf Medien- und Werbewirtschaft sorgen. Zu diesem Urteil kamen renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Rahmen der Veranstaltung „Anspruch, Wirklichkeit und Folgen des Kinder-Lebensmittel-Werbegesetzes“ vom Lebensmittelverband Deutschland und dem Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW).
In seiner Begrüßungsrede stellte Christoph Minhoff, Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschland, klar, dass die Lebensmittelwirtschaft bereit sei, den Kompromiss, der im Rahmen des Koalitionsvertrags gefunden wurde, mitzutragen. Dieser würde sich speziell auf Sendungen für unter 14-Jährige beziehen. Der aktuell vorliegende Entwurf gehe aber weit darüber hinaus, da er vor allem die Primetime im Blick habe, wenn die Hauptnutzer Erwachsene seien. Außerdem seien bis zu 80 Prozent aller Lebensmittel betroffen und würden damit als nicht gesundheitsförderlich diskreditiert, darunter Käse, viele vegetarische Ersatzprodukte, Wurst oder Fruchtjoghurt. Minhoff betonte, dass die Wirtschaft das Dialogangebot von Bundesminister Cem Özdemir aufgreifen würde, wenn das Ministerium zu einem ernsthaften und konstruktiven Dialog bereit sei.
Katharina Schüller, Geschäftsführerin der STAT-UP GmbH und Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft, hatte sich die gängigen Studien angeschaut, die von Werbeverbotsbefürwortern immer wieder zitiert und als Beweis dafür herangezogen werden, warum Werbeverbote notwendig und zielführend seien. Ihr Fazit: „Keine dieser Studien befasst sich tatsächlich mit dem Einfluss von Werbekonsum auf Übergewicht.“ Außerdem seien sie methodisch schwach, d. h. es handelt sich um alltagsferne Experimente, zu kleine Stichproben, eine zu kurze Beobachtungsdauer und die Nichtberücksichtigung psychologischer Effekte. „Die Interpretation ist zudem häufig interessengeleitet bis grob falsch. Wenn die Politik evidenzbasiert agieren möchte, muss Evidenz aber auch geschaffen werden“, stellte Schüller klar.
Das vorgezogene Fazit des Tages kam von Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorf Institute for Competition Economics an der Heinrich-Heine-Universität, der mit Blick auf sein Gutachten aus ökonomischer Sicht, aber auch mit Blick auf die naturwissenschaftlichen und juristischen Bewertungen von Schüller und Burgi zusammenfasste: „Das KLWG löst keine Probleme, es schafft neue.“ Haucap meinte, es sei klar, dass das Gesetz eigentlich bewirken soll, dass Hersteller ihre Rezepturen so ändern, dass sie ihre Produkte wieder bewerben können. Denn mit den strengen Nährwertkriterien, die im Moment hinterlegt sind, würde ein erheblicher Teil der Werbeeinnahmen für private aber auch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wegfallen. „Wir sprechen von Bruttowerbeverlusten zwischen zwei und drei Milliarden Euro – je nachdem, wie strikt das Werbeverbot ausgelegt würde. Das hätte einen erheblichen Einfluss auf die Medienvielfalt und die qualitative Berichterstattung“, befürchtete Haucap. Vor allem kleine Sendeanstalten hätten deshalb große Bedenken und Sorge vor der möglichen Umsetzung des KLWG.
Dr. Janosch A. Priebe, Neurowissenschaftler, Psychologe und Wissenschaftsblogger (@dr.JAP) schlug den größeren Bogen zur generellen Frage der Eigenverantwortung, Bevormundungspolitik und dem Unterschied zwischen Meinung und Ahnung. Gerade in den sozialen Netzwerken werde gerne mit Extremen gearbeitet, die wissenschaftlich nicht korrekt seien, zum Beispiel, dass Zucker süchtig mache. Diese Behauptung sei genauso nicht haltbar, wie die, dass Werbeverbote schlank machen würden. Für ihn müsse die Politik Leitplanken setzen und nicht überregulieren, denn „zwischen den Leitplanken muss noch Platz sein für die persönliche Verantwortung.“
Den Abschluss der Veranstaltung machte Katja Heintschel von Heinegg, Geschäftsführerin des ZAW. In ihrer Schlussbetrachtung stellte sie fest: „Die aktuellen Vorschläge für umfassende Werbeverbote überschreiten deutlich den im Koalitionsvertrag benannten Umfang und sind für die Werbewirtschaft nicht akzeptabel – ein Zusammenhang zwischen Werbung und kindlichem Übergewicht wird in keiner Studie nachgewiesen, der Kollateralschaden für die deutsche Medienindustrie aber wäre enorm, der Wettbewerb der Unternehmen um die besten Produkte würde verhindert. Evidenzbasierte Regulierung setzt eine ernsthafte Beschäftigung mit der vorliegenden oder eben auch nicht vorliegenden Evidenz voraus. Zu echten Lösungen und sinnvoller Regulierung sind wir immer gesprächsbereit. Verfassungs- und europarechtswidrige Gesetzentwürfe sind hingegen keine Diskussionsgrundlage.“