Lebensmittel

Bundesminister Özdemir stellte im Februar 2023 einen Entwurf für ein umfassendes Werbeverbot für Lebensmittel vor, der weit über die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags hinausgeht. Nachdem Eckpunkte zur Ernährungsstrategie der Bundesregierung vorgelegt wurden, sollen diese nach der Ressortabstimmung vom Kabinett bis Ende 2023 beschlossen werden. Einen Entwurf für ein EU-weites Nährwertprofil, welches im Rahmen der „Farm to Fork“-Strategie der EU-Kommission geplant ist, gibt es bislang nicht.

Lebensmittelwerbung ist in Deutschland bereits umfassend gesetzlich und durch Selbstverpflichtungen der Werbewirtschaft reguliert. Die Forderungen nach weiteren gesetzlichen Beschränkungen wurden in den letzten Jahren insbesondere von Kampagnenorganisationen und Verbänden aus dem Gesundheitsbereich vehement vorgetragen. Das von Bundesminister Cem Özdemir im Februar 2023 angekündigte Kinder- Lebensmittel-Werbegesetz (KWG) geht deutlich über die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags hinaus, die vorsehen: „An Kinder gerichtete Werbung für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- und Salzgehalt darf es in Zukunft bei Sendungen und Formaten für unter 14-Jährige nicht mehr geben.“ Nicht nur fordert der Gesetzesentwurf ein praktisches Totalverbot für 70 Prozent aller Lebensmittel in Rundfunk und audiovisuellen Mediendiensten zwischen 6:00 und 23:00 Uhr – auch Außenwerbung und Influencer sollen mit dem Entwurf umfasst und deutlich eingeschränkt werden.

Abgesehen von inhaltlichen Unklarheiten, die der Entwurf erkennen lässt (z.B. durch neue Definitionen, die anderen Regelwerken widersprechen), werden auch die Gesetzgebungs- und Aufsichtskompetenzen der Bundesländer missachtet, da diese für Medienregulierung zuständig sind. Nach Auffassung des ZAW verstößt der Gesetzesentwurf gegen fundamentale Rechtsbedingungen für eine verfassungs- und europarechtskonforme Gesetzgebung. Außerdem wird er die Medienlandschaft in erheblichem Ausmaß belasten und die Medienvielfalt in Deutschland gefährden. Der ZAW bemängelt außerdem, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über keine Evidenz für die These verfügt, dass Werbung ein maßgeblicher Faktor für die Herausbildung von kindlichem Übergewicht sei.

Das WHO-Nährwertmodell aus dem Jahr 2015, welches das KWG im Wesentlichen als Bezugspunkt für die Einstufung von Lebensmitteln in „High Fat, Salt, Sugar“ zur Grundlage nimmt, wird aus guten Gründen in keinem europäischen Land (abgesehen von einer abgewandelten Form in Portugal) für Werberestriktionen herangezogen. Ganze Produktkategorien werden von vorne herein diskriminiert und als nicht vermarktungsfähig eingeordnet und damit mit einem Werbeverbot belegt, dar- unter u.a. Süßwaren, Gebäck, Müsliriegel oder Energy Drinks. In Verbindung mit den Nährwertkriterien für alle anderen Produkte liegen, wie Studien zeigen, ca. 70 Prozent der jeweils untersuchten Produkte im Verbotsbereich, darunter z.B. auch Goudakäse.

Die Anlehnung an das WHO-Nährwertmodell aus dem Jahr 2015 verwundert auch deshalb, weil die EU-Kommission im Rahmen der „Farm to Fork“-Strategie einen Entwurf für ein EU-weites Nährwertprofil angekündigt hat. Dieser wurde bislang aber noch nicht vorgestellt. Außerdem hat die WHO die zweite Version ihres Nährwertmodells im März 2023 angepasst veröffentlicht. Aus diesem neuen Modell hat das BMEL für die Anlage des KWG offenbar die Ausnahmen für Vollmilch und Fruchtsäfte entnommen, nicht aber den Bereich der Fleischalternativen, der nach dem neuen WHO-Modell gesondert gelistet ist

| Stand: April 2023