Über den Wert der Werbung (und warum wir ihn erhalten sollten)
Ein Brandbrief von Thomas Koch, Unternehmer und Mr. Media
Fragt man UnternehmerInnen nach dem ersten Wert, der ihnen in den Sinn kommt, denken sie an Unternehmenswerte. Für Werbungtreibende ist es der Wert ihrer Marken. Alljährlich werden die Bestplatzierten als wertvollste Marken der Welt gekürt – so wissen wir, dass der Wert der Marke Apple bei 260 Milliarden Dollar liegt. Dies ist ein Wert, der weitgehend aus Kommunikation entsteht. Aus Werbung. Und die Produkte müssen liefern. Marken, auch Medienmarken, sind Vertrauenskonstrukte.
In den Händen der Markenverantwortlichen liegt es, diese Werte zu erhalten – oder sie einen langsamen Tod sterben zu lassen. Danach sieht es derzeit aus. Wir sind im Begriff, die Werte unserer Marken zu zerstören.
Die Marken, wie wir sie kennen, und in deren Werte wir Jahrzehnte Arbeit, Mühe und millionenschwere Kampagnen investierten, drohen zu zerfallen. Angriffe kommen von allen Seiten. Von den No Names der Handelsunternehmen, deren Marktanteile weiter stetig steigen. Von kleinen, auf E-Commerce aufgebauten neuen Wettbewerbern, die in der digitalen Welt entstehen und den alten Marken Marktanteile bei den modernen, auf Nachhaltigkeit und Purpose fokussierten Verbrauchern streitig machen. Und von den Verbrauchern selbst, die den ehemals angesehenen Marken immer mehr ihres wertvollen Vertrauens entziehen. Das nennt man Wettbewerb.
Viele unserer Marken wurden für die Ewigkeit gebaut. Bis zur Digitalisierung von Vertrieb, Medien und der Werbung selbst bestand kein Zweifel daran, dass sie ewig leben würden. Doch nun ändern sich die Vorzeichen. Das Umfeld, in dem unsere Marken prosperierten, ist im schnellen Wandel: Umwelt, Gesellschaft, Medienwelt, Kommunikation.
Nur wenige Unternehmenslenker, Finanz-, Vertriebs- und Marketing-Verantwortliche haben sich an die neue Wirklichkeit angepasst. Viel zu wenige. Sie reden über Haltung, betreiben für aufgeweckte Verbraucher aber auch durchschaubares Greenwashing. Sie steuern ihre Werbung im Blindflug immer stärker in digitale Kanäle, deren Wert fraglich erscheint. Sie folgen Daten, deren Kontrolle ihnen nicht möglich und deren Wert zweifelhaft ist.
Sie geben milliardenschwere Werbe-Investitionen in die Hände von drei Unternehmen, die selbst weder Haltung besitzen, noch zum Gemeinwohl beitragen. Google, Facebook und Amazon sind keine Heilsbringer der digitalen Welt, sondern Schmarotzer unserer Gesellschaft und unserer Medien. Monopolisten wie diese zerstören zudem die Vielfalt unseres Werbeträgersystems. Machen wir weiter so, unterliegt die Medienvielfalt, auf die unser gesellschaftliches System angewiesen ist und auf die das Marketing als Träger seiner Botschaften setzt, der Disposition der Megaplattformen.
Die Automatisierung der digitalen Werbung hat zur Folge, dass mehr als drei Viertel der Mediainvestitionen weder Publisher noch Zielgruppen erreichen. Dass jeder siebte digitale Werbe-Euro unauffindbar bleibt. Dass 150 Millionen der unkontrolliert ausgespielten Werbegelder Brand Safety-Problemen zum Opfer fallen und Publisher finanzieren, deren Ziel es ist, unsere freiheitliche Gesellschaft zu beschädigen.
Das stellt mehr als nur den Wert der Werbung in Frage. Es gefährdet den Erhalt unserer Medienvielfalt. Im gleichen Atemzug beobachten Marketingverantwortliche, wie das Vertrauen in ihre Marken sinkt und die Wirkung ihrer Werbung spürbar nachlässt.
Wir haben lange genug beobachtet und lamentiert. Es ist die Zeit gekommen, umzudenken und zu handeln. Unternehmenslenker und Markenverantwortliche müssen wieder Werte in den Vordergrund rücken. Wie es ihre Unternehmensgründer und Markenerfinder zuvor taten. Sie müssen Vorbilder sein, wenn es gilt, den Wert unserer Marken, unserer Medien und unserer Werbung zu erhalten. Wir müssen den Wettbewerb neu entfachen. Im Interesse von Marken und Markenverantwortlichen!
Aber wir dürfen nicht naiv sein. Die Megaplattformen haben alle strategischen Hügel im Netz besetzt. Sie schwingen sich zum guten Hirten der Nutzer und ihrer Daten auf, um in Wahrheit aber Wettbewerber zu beachteiligen und sich selbst zu begünstigen. Manche, insbesondere Google, sind bei Einkauf und Vermarkung von Digitalwerbung Doppelagenten. Sie vertreten zugleich die Käufer und Verkäufer von Inventar, während sie eigene Produkte im Rennen haben. Das sind Lagen, die gesetzliche Regulierung benötigen. Marketer allein werden mit ihren Entscheidungen in diesem Gespinst nicht alles richten. Aber viel in Gang setzen. Wenn sie ihre Hebel einsetzen und starke, dem Wohl der Marke und dem größeren Ganzen verpflichtete Lenker ihrer Budgets sind. Und sich zugleich – auch dies gehört zur Glaubwürdigkeit – in der (wettbewerbs)politischen Debatte Gehör verschaffen. Das zahlt sich aus. Für die Marke.