18. April 2023: EU-Verbandsklagenrichtlinie — Umsetzung in deutsches Recht „Was ist für ein faires Verfahren wichtig?“

Der ZAW lädt am 18. April 2023 gemeinsam mit seinen Mitgliedern und weiteren Verbänden und Organisationen ein: Verfolgen Sie im Livestream ab 12 Uhr die Diskussion des offiziellen Referentenentwurfs eines Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetzes (VRUG) mit den Berichterstatterinnen und Berichterstattern der Bundestagsfraktionen von SPD, Bündnis90/Die Grünen, FDP und CDU/CSU.

Mit dem Entwurf soll die EU-Verbandsklagenrichtlinie (EU 2020/1828) umgesetzt werden. Die Richtlinie lässt den EU-Mitgliedsstaaten einen weiten Spielraum bei der Umsetzung. Die letzten Monate haben gezeigt, dass die Form der Umsetzung der EU-Vorgaben politisch außerordentlich umstritten ist. Für die deutsche Wirtschaft ist eine ausgewogene Ausgestaltung der neuen Klagemöglichkeit unter angemessener Berücksichtigung der Interessen von Verbrauchern und Unternehmen von hoher Bedeutung.

Hier finden Sie das komplette Programm und hier geht es zum Livestream.

Keine evidenzbasierte Politik: BMEL kündigt weitgehendes Totalwerbeverbot für Lebensmittel an.

Die heute vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vorgestellten Eckpunkte für Werbeverbote im Lebensmittelsektor sind nach Auffassung des ZAW nicht geeignet, zu einer nachhaltigen Reduktion von Übergewicht bei Kindern beizutragen. Die Agenda des Hauses ist einer Vielzahl gut belegter Einwände ausgesetzt.

ZAW-Präsident Andreas F. Schubert bewertet die Eckpunkte: „Das Ministerium arbeitet am falschen Ende. Noch in der letzten Woche wurde gegenüber dem ZAW, Verbänden der Lebensmittelwirtschaft und der Werbeträger/Medien vom BMEL bestätigt, dass dem Ministerium keine Wirksamkeitsstudien vorliegen, die einen positiven Einfluss von Werbeverboten auf das Ernährungsverhalten und eine Verringerung der Übergewichtsrate von Kindern belegen. Ungeachtet dessen, geht man heute weit über den Koalitionsvertrag hinaus. Die untaugliche Verbotspolitik nimmt in Kauf, die Refinanzierung von Medien und Sport weitgehend zu beschädigen und den Wettbewerb, darin eingeschlossen den Markterfolg von Innovationen, auszuschalten.“

Besonders kritikwürdig aus der Sicht des ZAW ist, dass das Ministerium nicht nur Reality-Checks und Folgeabschätzungen ausgeklammert, sondern seine Pläne schlichtweg irreführend beschrieben hat.

Dies gilt im Hinblick auf die betroffenen Produkte wie auch unter dem Gesichtspunkt der erfassten Werbeformen und Kanäle.

  • Mit der WHO-Bezugnahme würden rund 80 Prozent der verarbeiteten Lebensmittel produktseitig erfasst. Die von der WHO 2015 in einem intransparenten Prozess erarbeiteten Nährwertprofile teilen das Lebensmittelangebot anhand einiger weniger Nährstoffe in vermeintlich „gute“ (im wesentlichen unverarbeitetes Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte, Fleisch und Fisch) und „schlechte“ (alle anderen) Lebensmittel ein und schließen von vorn herein – ohne Nährwertgrenze – ganze Produktgruppen per se von der Bewerbung aus.

Anders als verlautbart, ist das WHO-Verbotsmodell jedoch weder ein verbreiteter noch erfolgreicher Politikansatz:

  • Das WHO-Verbotsmodell ist nicht Bestandteil verbindlicher europäischer Regulierung und Gesetzgebung.
  • Es ist nicht Grundlage der Regulierung wie auch der Selbstregulierung zur Werbung in Österreich und Spanien.
  • In Portugal, dem einzigen Land, im dem es (modifiziert) herangezogen wird, liegt die Übergewichts- und Adipositasrate von Kindern doppelt so hoch wie in Deutschland. Ebenso ist die Lage in UK, wo knapp jedes dritte Kind betroffen ist – obwohl hier seit Jahren eine Verbotsregulierung gilt, die dem vorgestellten Ansatz des BMEL weitgehend entspricht.

Die Aussagen zu den erfassten Werbemaßnahmen bedeuten, anders als vom BMEL heute mitgeteilt, dabei ein nahezu geschlossenes generelles Werbe- und Sponsoringverbot.

Trotz Berufung auf den Koalitionsvertrag will das BMEL in erster Linie nicht an Inhalte und Aussagen in der Werbung, die sich spezifisch an Kinder richten, anknüpfen.

  • Immer dann, wenn Produkte beworben werden, die eine bunte Aufmachung haben, soll das Verbot greifen.
  • Zudem ist geplant die Außenwerbung zu verbieten, wenn sie innerhalb einer Bannmeile von 100 Metern um Orte, an denen sich Kinder typischerweise aufhalten, installiert ist. Dies bezieht sich, wie mitgeteilt, auf alle Lebensmittel, die unter das WHO-Verbotsmodell fallen, also mindestens 80 Prozent aller Lebensmittel.
  • Nicht nur Medien, die sich an Kinder spezifisch richten, sollen als Werbeträger für die klare Mehrheit der Lebensmittel ausgeschlossen sein. Lebensmittel sollen im Fernsehen und Internet generell zwischen 6.00 und 23.00 Uhr nicht mehr beworben werden dürfen, wenn sie unter die WHO-Kriterien fallen. Davon betroffen sind ebenfalls mindestens 80 Prozent aller verarbeiteten Lebensmittel.

„Die Behauptung des BMEL, es gehe um zielgerichtete Vorschläge, ist irreführend. Tatsächlich ist eine massive Überregulierung geplant. Hierfür gibt es jedoch keine tragfähige Grundlage. Weder politisch, noch rechtlich und auch ernährungs- bzw. medienwissenschaftlich. Lebensmittel sind nicht per se gesund oder ungesund. Vielmehr finden alle Lebensmittel in einer ausgewogenen Ernährung ihren Platz. Werbeverbote gehen zudem an den lebenswirklichen Herausforderungen vorbei. Die Wirkung von Werbung im Hinblick auf den kategorialen Verzehr von Salz, Zucker und Fett wird vom BMEL verkannt. Werbung für Lebensmittel hat Einfluss auf die Marktanteile beworbener Produkte. Sie ist erwiesenermaßen aber nicht in der Lage, das Ernährungsverhalten von Kindern ungünstig in Richtung Übergewicht zu beherrschen. Heute wurde emotional angekündigt, evidenzbasierte Fakten sind dabei aber auf der Strecke geblieben“, ergänzt Bernd Nauen, Hauptgeschäftsführer ZAW.

Die Gründe für kindliches Übergewicht sind tatsächlich multikausal und deshalb nicht monokausal mit Werbeverboten zu lösen. Zielführend sind ganzheitliche Ansätze, die den gesamten Lebensstil in den Blick nehmen, die Ernährungs- und Medienkompetenz stärken und dabei der deutlich gestiegenen Bewegungsarmut von Kindern Rechnung tragen – so auch aufgezeigt in der aktuellen WHO/OECD-Studie zur angewachsenen Bewegungsarmut in EU-Ländern. Die Vorschläge des BMEL schweigen hierzu.

Auch mit Blick auf die besonderen Möglichkeiten des Staates bei der Gemeinschaftsverpflegung in Kitas und Schulen für eine bessere Ernährungsumgebung Sorge zu tragen und eine proaktive Ernährungsbildung aufzusetzen, bleibt es bei bloßen Ankündigungen. Dabei ist Übergewicht und Adipositas in sozio-ökonomisch benachteiligten Bevölkerungskreisen überproportional ausgeprägt. Mit Werbeverboten wird die Lebens- und Ernährungsrealität in benachteiligten Familien jedoch nicht nachhaltig verbessert, wie eine Vielzahl von public-health Analysen und die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen.

Der ZAW teilt die Zielsetzung, Übergewicht bei Kindern zu bekämpfen. Der besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern gilt es bei der Lebensmittelwerbung Rechnung zu tragen. Die Werbewirtschaft hat sich hierauf verpflichtet. Sie hat die Regeln in 2021 verschärft und setzt sie durch. Aussagen und Inhalte, die einer ausgewogenen Ernährung entgegenstehen, sind in der Lebensmittelwerbung gegenüber Kindern nicht zulässig.

Fakten und Evidenz zu Übergewicht und Werbeverboten:

1.Die Übergewichts- und Adipositasprävalanz in Deutschland liegt seit Jahren bei rund 15 Prozent. In anderen europäischen Ländern, die heute als wegweisend bei der Verbotsdebatte bezeichnet wurden, liegen sie weitaus höher, z.B. in UK, wo 1 von 3 Kindern übergewichtig oder adipös ist. Dies gilt auch für Portugal und Spanien.

2. Seit der zweiten maßgeblichen RKI-KIGGS-Studie in 2015 bis 2017 wurde ein Rückgang des gesamten Lebensmittelverzehrs und der mittleren Energiezufuhr bei Kindern in Deutschland beobachtet, wobei die geringere Energiezufuhr mit einem deutlich reduzierten Konsum von süßen Getränken begründet wird. Zudem seien im Vergleich zur KiGGS-Basiserhebung im Zeitraum 2003 bis 2006 die angegebenen konsumierten Mengen von Süßwaren erheblich gesunken, je nach Geschlecht und Altersgruppe zwischen 20  und 30 Prozent und jeweils statistisch signifikant. Zwischen den Studien nahm die ermittelte Energiezufuhr bei 6- bis 11-jährigen Mädchen etwa 9 Prozent, bei 6- bis 11-jährigen Jungen etwa 11 Prozent und bei Jugendlichen etwa 21 Prozent ab. Vorstehende Entwicklung erfolgte bei durchweg steigenden Werbeinvestitionen und Schaltungen in den 2000-er Jahren. Es besteht somit kein Zusammenhang zwischen kindlichem Übergewicht und Werbung.

3. Das generelle Bewegungsniveau der Kinder, wie Studien des RKI belegen, ist seit Jahren deutlich geringer geworden. Es wird erheblich mehr Zeit im Sitzen verbracht, was zu einem niedrigeren Energiebedarf führe. Die Hauptursachen für den Bewegungsmangel als wesentlicher Grund für einen Übergewicht hervorrufenden Energieüberschuss bei Kindern liegen nach public-health-Studien in folgenden Faktoren:

  • Wesentlich ist die Umstellung des Schulsystems auf mehr Ganztagsschulen und die Einführung des Abiturs nach 12 Jahren in fast allen Bundesländern zwischen 2012 und 2015 wodurch viele Kinder und Jugendliche weniger Freizeit haben. Hinzu kommt die Nutzung digitaler Medien, der Rückgang beim Ehrenamt und Defizite beim Sportunterricht in den Schulen. Als bedeutsam werden auch Unzulänglichkeiten bei der Kita- und Schulverpflegung erkannt.

4. In der Corona-Pandemie ist die Werbemenge über alle Kanäle hinweg deutlich gesunken. Das kindliche Übergewicht hat hier aber nach allen Schätzungen zugenommen. Auch dies belegt eindrücklich, dass kein Zusammenhang zwischen der Ausbildung von Übergewicht und Werbung existiert.

5. In Ländern, in denen Werbeverbote bereits existieren, haben sich die Übergewichtszahlen nicht verändert. Sie liegen, wie etwa in UK, sogar deutlich über den Daten in Deutschland. Werbeverbote sind nachweislich nicht erfolgreich.

6. Die vom BMEL mitgeteilten Daten zur Werbemenge sind unzutreffend. Dies gilt insbesondere für die Behauptung, wonach „jedes Kind in Deutschland zwischen 3 und 13 Jahren pro Tag im Schnitt 15 Werbespots für ungesunde Lebensmittel schaue und 92 Prozent der gesamten Werbung, die Kinder wahrnehmen, Fast Food, Snacks oder Süßigkeiten vermarkte“. Sie basieren auf methodisch nicht haltbaren Untersuchungen im Auftrag von Kampagnenorganisationen.

Tatsächlich sieht die Lage nach den Daten der AGF im Bereich TV wie folgt aus:

  • 98 Prozent der Primetime-Zuschauer sind über 14 Jahre alt, unter 2 Prozent sind zwischen 3 und 13 Jahre alt – über 365 Tage im Jahr und alle Fernsehsender hinweg.
  • In den Jahren 2019 bis 2022 waren von den 100 Sendungen mit der höchsten Sehbeteiligung bei den 3- bis 13-Jährigen nur 27 Sendungen mit Werbung.
  • Bei Fußball-Länderspielen ist der Strukturanteil der 3- bis 13-Jährigen zuweilen höher, dann sitzen aber auch die Erwachsenen mit vor dem Bildschirm und Fußball ist auf ARD und ZDF ab 20 Uhr werbefrei.
  • Der Löwenanteil der Sendungen mit einer hohen Sehbeteiligung der 3- bis 13-Jährigen ist werbefrei – entweder laufen diese Sendungen auf dem grundsätzlich werbefreien Kika oder – wie Fußball – bei ARD und ZDF nach 20 Uhr.

Das gleiche gilt für die Online-Daten bzw. digitale Werbemenge, die Kinder wahrnehmen: Hier wird mit ergebnisorientierten Hochrechnungen und Datenquellen, die man nicht verrechnen kann gearbeitet. Konkrete Avatar-Messungen haben ergeben, dass lediglich 1.45 Prozent der Online-Werbung, die an Kinder ausgeliefert wird, für sogenannte HFFS-Produkte wirbt.

7. Die Tragfähigkeit von Werbeverboten setzt – nicht nur rechtlich betrachtet – eine Kausalbeziehung zwischen der Bewerbung von Lebensmitteln (mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt) gegenüber dem Konsum und der Ernährungsweise von Kindern in der Weise voraus, dass Kinder unter 14 Jahren gerade durch Werbeinhalte so beeinflusst werden, dass sie dadurch bedingt eine größere Menge der genannten Lebensmittelprodukte derart mittel bis langfristig verzehren, dass ihr Risiko für Übergewicht und Folgeerkrankungen signifikant steigt. Hierzu gibt es keine überzeugenden Befunde.

  • In den fachwissenschaftlichen Studien zu den Auswirkungen von Werbung und Werbeverboten auf das Konsumentenverhalten wird eine Einflussnahmemöglichkeit von Werbung im Hinblick auf Markenwiedererkennung und -image grundsätzlich anerkannt. Allerdings bewirkt dies nach den Befunden grundsätzlich keinen Mehrkonsum. Bei reifen und gesättigten Produktkategorien, wie beispielsweise Süßigkeiten, konnte kein Kategorie-Mehrkonsum festgestellt werden, der durch Werbung ausgelöst wurde. In gesättigten Märkten ist vielmehr der primäre Effekt, bestehende Marktanteile zu verteidigen und Konsumenten von Konkurrenzmarken abzuwerben. Entsprechend lassen sich auch keine Rückschlüsse eines etwaigen Mehrkonsums bei Steigerung der Werbeausgaben aus Vergleichsuntersuchungen z.B. zu Süßwarenwerbeausgaben und Süßwarenkonsum schließen. Das entspricht den Daten zu Werbeinvestionen in Deutschland seit den 2000-er Jahren und den Veränderungen in Corona.
  • Deshalb konnte auch das Max Rubner Institut keine Wirksamkeitsnachweise für Werbeverbote in EU-Ländern, wo sie bestehen, entdecken. Der Auftraggeber ist das BMEL, eine Veröffentlichung der Untersuchung ist jedoch nicht vorgesehen. Das ist natürlich kritisch, weil so evidenzbasierte Politik ausgebremst wird. Auf Anfrage musste das BMEL diesen Befund aber zugeben, s. https://dserver.bundestag.de/btd/20/049/2004970.pdf , s. S. 60.
  • Die Ursachen von Übergewicht, Adipositas und ungünstiger Ernährungsweise, die gut belegt sind, lauten hingegen: (1.) Bewegungsmangel, z.B. aufgrund veränderter Lebensumstände von Kindern und Jugendlichen (Ganztagsschulen, Auflösung tradierter Familienverbünde und Arbeitsbedingungen) (2.) Rahmenbedingungen der Mahlzeiteneinnahme (gemeinsame Familienmahlzeiten, Schulspeisung), (3.) sozialökonomischer Status und Bildungsgrad sowie (4.) Adaption von Verhaltensweisen im engen sozialen Umfeld und enge physiognomische Korrelationen im Familienkreis.
  • Alle Studien weisen auf eine erhebliche Bedeutung des Faktors des sozialökonomischen Status (SES) der untersuchten Personengruppen hin. Kinder und Jugendliche mit niedrigem SES weisen im Vergleich zu Mädchen und Jungen mit mittlerem und hohem SES eine deutlich höhere Prävalenz für Übergewicht auf. Beispielweise konsumieren 6- bis 11-jährigen Mädchen und Jungen mit hohem SES im Mittel signifikant ausgewogener als die Vergleichsgruppe in sozial benachteiligten und bildungsferneren Milieus. Hier weist das gesamte Ernährungsverhalten ungünstigere Muster auf. Und die Bewegungsarmut ist besonders ausgeprägt. Werbeverbote ändern aber an den sozialen Umständen nichts, denn die Faktoren, die ein ungünstiges Ernährungsverhalten und Bewegungsarmut hervorrufen sind nicht kommunikativ vermittelt, sondern sind eng verknüpft mit Sozialstatus, Bildung, Wohnort, Aufenthaltsstatus der Familien und Freunde. Das ist gesicherter Stand der Wissenschaft.

 

Werbemarkt 2022 mit leichtem Plus, sorgenvoller Ausblick auf 2023

Die Werbewirtschaft in Deutschland wächst 2022 auf 48,66 Mrd. Euro (+2,8 Prozent).  Damit liegt sie erstmals nach drei Jahren über dem Niveau des Vorkrisenjahres 2019, wie der Dachverband der Werbewirtschaft in seiner vorläufigen Jahreserfassung ausweist. Die endgültigen Zahlen werden im Mai 2023 veröffentlicht. Das Gleiche gilt bei den anderen Kerndaten der Branche: Die Investitionen in Werbung steigen auf 36,99 Mrd. Euro (+2,6 Prozent), die Netto-Werbeeinnahmen der Medien auf 26,37 Mrd. Euro (+1,9 Prozent). Ausschlaggebend für die Zugewinne ist das überproportionale Wachstum der digitalen Werbung im Vergleich zu anderen Werbeträgern, das allerdings wie schon in den Vorjahren größtenteils wenige Megaplattformen verbuchen und von dem nationale Player nur unterdurchschnittlich profitieren. Auch die bereits in 2022 stark spürbaren Effekte inflationsbedingter Preissteigerungen sind für nominale Zuwächse verantwortlich. Der dringend erhofften Gesundung des Marktes, angetrieben durch nachhaltig steigende Werbeinvestitionen, stehen eine bedrückende Inflation, hohe Rohstoff- und Energiepreise sowie damit einhergehend eine eingeschränkte Konsumlaune entgegen.  Der ZAW und seine Mitglieder sorgen sich angesichts der anhaltend schlechten wirtschaftlichen Aussichten, aber auch aufgrund politischer Ankündigungen um die vielfältige Werbeträger- und Medienlandschaft in Deutschland 2023.

Andreas F. Schubert, ZAW-Präsident, fasst die Situation der Werbewirtschaft zusammen: „Historisch hohe Energie- und Rohstoffpreise, Lieferkettenprobleme bis zur Jahresmitte und rückläufiger Konsum belasten die Branche in 2022. Das Plus fällt geringer aus als unsere Branche es benötigt. Hauptsächlich generiert durch digitale Werbung, streichen die Zuwächse vor allem die Gatekeeper-Plattformen ein. Negative Konjunkturaussichten, ungleiche Wettbewerbsbedingungen im Digitalwerbemarkt und drohende Werbeverbote für einzelne Produkte: Wir blicken sehr besorgt auf 2023.“

Das Jahr 2022 kompakt

Nach dem Absturz im Coronajahr 2020 mit -7 Prozent auf 44,86 Mrd. Euro (2019: 48,33 Mrd. Euro), kehrte die Werbebranche 2021 mit 47,34 Mrd. Euro (+5,5 Prozent) nicht komplett zum Vorkrisenniveau zurück. Dies gelingt in 2022 mit 48,66 Mrd. Euro (+2,8 Prozent). Der Grund für das Plus ist das weiter überproportionale Wachstum der digitalen Werbung, von dem nationale oder auch europäische Player allerdings nur wenig profitieren.

Die Werbebranche leidet an vielen Stellen unter der wirtschaftlich angespannten Lage in Deutschland. Hohe Papier- und Energiepreise belasten vor allem die Printwerbeträger, dazu verteuert der seit Oktober 2022 gestiegene Mindestlohn die Zustellung. Die hohen Rohstoffpreise beispielsweise im Ernährungsbereich, wie die extrem gestiegenen Preise für Zucker (+100 Prozent), Butter (+57 Prozent) oder Weizen (+60 Prozent), erschweren die Herstellung von Produkten ebenso wie Materialengpässe aufgrund bekannter Lieferkettenprobleme – werbende Unternehmen promoten keine Produkte, die sie absehbar nicht auf den Markt bringen können. Konsumenten wiederum ächzen unter den hohen Preisen für Lebensmittel und Energie, sie schränken sich ein und sparen. Die Monate November und Dezember sind normalerweise die umsatzstärksten Monate des Handels und damit auch sehr wichtige Werbemonate.

Bei den Werbeträgereinnahmen erwartet der ZAW für Video- und Kinowerbung sowie für einzelne Printwerbeträger ein leichtes Plus, bei anderen Gattungen sieht er eher eine schwarze Null bzw. Stagnation.

Blick auf 2023

Rezessive Konjunkturdaten, Inflation und sinkende Konsumlaune belasten die ZAW-Mitglieder: Mit Blick auf das zu Ende gehende Jahr und das erste Quartal 2023 befürchten 48 Prozent Streichungen von Investitionen bei Produkten, 55 Prozent bei Dienstleistungen, nur 9 Prozent sehen Investitionsverlagerungen ins Ausland. Liquiditätsengpässe befürchten weiterhin 39 Prozent, 42 Prozent gehen von Betriebsaufgaben aus und 33 Prozent gar von Insolvenzen.

Mit Blick auf 2023 prognostiziert ZAW-Präsident Schubert: „Das erste Halbjahr 2023 wird angesichts der bereits angekündigten Budgetkürzungen schwierig, auch weil allgemein die konjunkturelle Lage angespannt bleibt. Ab dem zweiten Halbjahr gehen wir von Entspannung und Besserung aus – vorausgesetzt die geopolitische Lage und die Konjunktur bessern sich.  Ein wichtiger Faktor ist ganz klar die vorhandene Unsicherheit in vielen Märkten. Risiken können kalkuliert und eingepreist werden, Unsicherheit nicht, für nachhaltige Werbeinvestitionen ist dies ein Hemmschuh. Werbungtreibende fahren dann eher auf Sicht. Die Branche hat allerdings in 2021 gezeigt, dass Sie schnell reagieren kann, wenn – was denkbar ist – es zu Verbesserungen des Gesamtumfelds ab der zweiten Jahreshälfte kommt. Wir schreiben 2023 definitiv nicht ab, sondern wir gehen aktuell mindestens von einer schwarzen Null für unsere Branche aus, es könnte aber auch ein kleines Plus werden.“

ZAW-Trendanalyse im Detail – Arbeitsmarkt bleibt stabil

Der zuletzt in 2021 aufgrund des Coronajahres 2020 überhitzte Arbeitsmarkt mit +90 Prozent an Stellenangeboten normalisiert sich in 2022 mit einem Plus von 21 Prozent, so das Ergebnis der ZAW-Trendanalyse für die Monate Januar bis Oktober 2022. Wie üblich stellen die Agenturen die meisten Jobangebote mit 57 Prozent vor den werbenden Unternehmen mit 31 Prozent und den Medien mit 12 Prozent. Angeführt wird das Stellenangebots-Ranking von Marketingspezialisten, vor Account-Managern und den traditionellen Agenturberufen Art-Director und Texter.

Auch bei der Bundesagentur für Arbeit zeichnen die Arbeitslosendaten für Marketing und Werbung ein ähnliches Bild: Gingen die Arbeitslosendaten 2021 deutlich um 23 Prozent im Vergleich zu 2020 zurück, sanken sie 2022 nur noch um knapp 2 Prozent.

Den Fachkräftemangel bezeichnen daher auch 90 Prozent der ZAW-Mitglieder weiter als groß bzw. mittelgroß. 91 Prozent haben große bzw. mittelschwere Probleme bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter.

Dazu passt, dass der GWA in seiner Umfrage vom 21. November 2022 angibt, dass 78 Prozent der befragten Agenturen bereits mit Budgetkürzungen oder der Ankündigung von Kürzungen konfrontiert werden, dennoch aber rund 70 Prozent der Agenturen verlautbaren, nicht an Personal oder bei Personalkosten sparen zu wollen.

Da der Arbeitsmarkt generell kein Früh- sondern ein Spätindikator für die konjunkturelle Situation einer Branche ist, bleibt das Ergebnis der Trendanalyse eine Momentaufnahme.

ZAW-Trendbefragung im Detail – Stimmungslage verschlechtert sich deutlich

Die Stimmungslage unter den ZAW-Mitgliedern hat sich deutlich verschlechtert. Auf die Frage „Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage der Werbewirtschaft – wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich?“ fiel die Antworten mit insgesamt 2,8 Punkten im Vergleich zur Frühjahrsbefragung 2022 mit 3,5 klar negativer aus (Herbst 2021: 3,7). Vor allem für den politischen Teil der Frage sind die Mitglieder mit 2,5 Punkten pessimistischer (Frühjahr 2022: 2,9; Herbst 2021: 2,7).  

ZAW-Hauptgeschäftsführer Bernd Nauen zu den Sorgen der ZAW-Mitglieder: „Der wirtschaftliche Druck, den unsere Mitglieder spüren, ist brutal hoch. Die konjunkturellen Unsicherheiten treffen alle Branchen. Die Werbewirtschaft soll, betrachten wir Verlautbarungen, von der Politik völlig unnötig weiteren Ballast aufgebürdet bekommen. Die Bewerbung von Lebensmitteln ins Visier zu nehmen, obwohl erwiesenermaßen kein Kind oder Erwachsener durch Werbeverbote schlanker und gesünder wird, ist keine nachhaltige Gesundheitspolitik. Daten aus anderen Ländern zeigen, dass Übergewicht bei Kindern durch Werbeverbote nicht eingedämmt werden kann. Allein die Nachteile für Medien als Werbeträger sind real.“

ZAW-Trendbefragung im Detail – Glaubwürdiges Belastungsmoratorium gefordert

Zum Belastungsmoratorium, das die Bundesregierung angekündigt hat, fällt die Reaktion der ZAW-Mitglieder verhalten aus: 64 Prozent kritisieren die Ausrichtung als unklar, während 15 Prozent angeben, dass es zu kurz springt und keine spürbaren Effekte haben werde. „Unbestimmte Ankündigungen zum Schutz vor Belastungen gepaart mit avisierten Werbeverboten sind aus Sicht der Unternehmen keine vertrauensbildende Politik“, so Bernd Nauen.

10. Oktober 2022: Diskussion über KI-Regulierung: „Wie sieht ein kluger europäischer Rahmen aus?“

Der ZAW lädt am 10. Oktober 2022 zur Diskussion über die KI-Regulierung ein:

Die Europäische Kommission hat im April 2021 den weltweit ersten Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz (KI) vorgelegt, um Europa zum globalen Zentrum für vertrauenswürdige KI zu machen. Die geplanten Vorschriften und Maßnahmen sollen auf einer zukunftssicheren Definition der KI beruhen und folgen einem risikobasierten Ansatz.

Im Zuge dieses Vorschlags werden Einsatzmöglichkeiten sowie Chancen und Risiken von KI-Anwendungen auch in Deutschland breit diskutiert. Für die deutsche Wirtschaft ist diese Thematik von großer Bedeutung. KI gehört zu den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts und bietet enorme wirtschaftliche Anwendungsmöglichkeiten.

Vor diesem Hintergrund haben führende deutsche Wirtschaftsverbände in einer gemeinsamen Positionierung ihre wichtigsten Forderungen formuliert.

Diskutieren Sie mit uns am 10. Oktober 2022 von 12 bis 14 Uhr in der Landesvertretung des Saarlands, Berlin, hier das Programm.

18. Oktober 2022: Forum Wirtschaft und Verbraucher — „Deutschland und Europa in der Krise – reguliert der Gesetzgeber mit Augenmaß?“

Der ZAW lädt am 18. Oktober 2022 gemeinsam mit dem BDI – Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., dem Markenverband e.V. und dem Handelsverband Deutschland e.V. (HDE) ein, über folgende Themen ab 15 Uhr in Berlin (Haus der Commerzbank) zu diskutieren: Der europäischen „Green Deal“ und die damit verbundenen Herausforderungen für Wirtschaft und Verbraucher, Chancen und Risiken neuer kollektiver Rechtsdurchsetzungsinstrumente und die nationale Umsetzung der EU-Verbandsklagerichtlinie. Hier finden Sie das komplette Programm.

Sie können sich über diesen Link anmelden, aufgrund der begrenzten Raumkapazitäten werden die Anmeldungen in der Reihenfolge ihres Eingangs berücksichtigt.